Die Strudlhofstiege
begriff. Es erscheint bemerkenswert, wie sie jetzt manchmal sich aufrichtete, das Kreuz hohl machte, tief atmete, als ließe sie vieles voll ein in die Brust, was bisher nur dumpf an sie gegrenzt, sie ummauert und bedrückt hatte, ohne daß sie davon je wußte. Wenn sie jetzt neben Melzer saß und seine Hand hielt, mit der linken seine rechte, hier im Park auf der Bank (und so konnte es nicht unziemlich auffallen), dann gewann diese Thea Rokitzer schon etwas von Würde und zwar von jener, die ein einfacher Wilder zeigt, der in kompliziertere Lebensverhältnisse geraten ist und, durch den guten Kern und Stern in seiner Brust geleitet, doch darin besteht.
Freilich erklärte sie auch ihr Erscheinen auf dem Bahnhofsplatze zur entscheidenden Minute und erzählte, was vorhergegangen; auch von den Zwillingen. Hätte Melzer seinen Stock noch gehabt: jetzt hätte er nachdenklich damit im Sande gezeichnet.
Keine Überraschung; kein solcher Ausruf; was hier in den Splint dieser Stunde im Parke als Neuigkeit einschlug, war längst und langsam im Kernholz seiner Einsicht gewachsen. Hier fiel nur eine letzte hauchdünne Trennungswand zwischen innen und außen; ja es war nicht einmal das Fallen einer Wand, nur das Platzen einer feinen Membrane, oder irgendeiner Scheidung und Trennung, wie man's bei sich lösenden Verkühlungen in den Gängen des Ohrs und der Nase spürt, womit dann die hörbare und riechbare Welt wieder zu jener Stufe der Deutlichkeit heraufgerückt ist, die ihr vorher eignete und welche wir ehedem gewohnt waren. Wenn der Major jetzt schwieg und vor und für sich still in den Sand sah (wobei ihn die Thea nicht störte), so war's nicht Betroffenheit, sondern höchste Aufmerksamkeit: gerichtet auf einen Vorgang in ihm selbst, den seine Natur da als einen ganz unabhängigen abspielte, und von dem er nur mit größter Bestimmtheit wußte, daß dabei was zu lernen sei, daß hier die Wahrheit selbst sich zur Darstellung bringe (ähnlich überzeugend wie am 22. August durch den Naphthalin-Geruch und einen Militärmarsch). Es sonderte sich nämlich Editha Schlinger entzwei wie eine trübe Lösung, die man ausfällt und welche nun in zwei verschieden gefärbten Schichten übereinander steht, deutlich sich abhebend und abgrenzend. Er konnte auch sagen wann und wo. Bis zu seinem kurzen Aufenthalte bei Stange lers am Lande zu Ende des August war's eine andere gewesen, deren fremdartig süßer Ton ab da erstarb; nur einen einzigen Nachklang hatte es davon noch gegeben, das wußte Melzer nun deutlich, aber wann, aber wo? Er suchte nicht, er dachte nicht, er wartete, er sah auf den Sand des Weges: da ward's vor ihn hingespült, mit der nächsten Welle: da war wieder Sand und Grün, da war die Lände am ›Donaukanal‹, die fern wimmelnde Brücke, die Wendung des Flusses unter der Brücke durch. Ein Ringelspiel gegenüber am anderen Ufer: von Zeit zu Zeit drehte es sich. Sie gingen zu dreien, der Rittmeister, Editha und er; am Abend war dann Stangeler bei ihm gewesen: und deshalb eigentlich hielt Melzer das Datum evident: Mittwoch, der 2. September. Hier, am Kanale, war sie noch gegenwärtig gewesen – wenn auch wie scheidend und zurückweichend schon, mit ihm kaum mehr sprechend, an Eulenfelds anderer Seite dahingehend – die süße Freundin des Sommers (so nannte er sie jetzt innerlich ohne Scheu und aus großer Entfernung, ja als wär' sie gestorben!), von welcher eine Verbindung herzustellen bis nach rückwärts zu jener Editha Pastré als unmöglich erschienen war, zu jener Editha, welche da an der Längsseite des Tennisplatzes, entlang der Fläche mit den weißen Streifen, ihm nun wieder wie leibhaft entgegenschritt, Aug' in Aug' mit ihm, ohne Lächeln, und grad beim Netze vorbeipassierend … Von dort an jedoch, von dem Gange am Kanale an, war's eben gerade nur mehr diese gewesen; sie auch hatte ihn im Amte besucht, und zwischen ihr und jener Editha Pastré vor vierzehn Jahren auf der Villa Stangeler gab's keinen Widersatz, sondern die eine ließ sich in die andere schieben wie die Teile eines Perspektivs, und die eine holte die andere mühelos und nah heran: während jene erste, die Fremde, süß verblich, wie eine Aureole nur auch um Editha noch liegend durch eine Zeit, Farbenglanz ihr verleihend, viele Farben des Regenbogens, aber schon im Verblassen. Da sah er sie liegen im Boote unter dem hallenden Baumdach, das den verschilften Arm überwuchs, den jetzt ein Wasservogel brei ten gelblichen Schnabels schreiend
Weitere Kostenlose Bücher