Die Strudlhofstiege
gelungenen Anstalten vom Samstag und die mißlungenen und doch gelungenen vom Montag so rasch würden zum Erfolge führen. Man erzählte so ziemlich alles, und hier war es Melzer, der wie mit einem Zirkelhiebe den Kern der Vorfälle klar herausschnitt; und auch für Thea übernahm er den Bericht. Die Pichler aber, ihre Nase ein klein wenig kraus ziehend, hat dabei auf irgend eine nicht ohne weiteres verständliche Weise gleich gewittert, daß dort oben bei Editha Schlinger eigentlich der Major erwartet worden sei: kaum war's von ihr gedacht, so erwähnte es Melzer auch schon und, wie ihm jetzt auffiel, zum ersten Male. Daß er Editha allein in ihrer Wohnung hätte antreffen sollen, dies ließ er nun in vernünftiger Weise bei Seite. »Die hätten mit Ihnen, Herr Major, vielleicht das gleiche aufgeführt wie mit der Thea«, sagte die Pichler. Der Werkmeister hörte bei allem ernsthaft und aufmerksam zu; von dem Vorfalle am Althanplatz hatte er längst Kenntnis gehabt, freilich nicht davon, wer die Verunglückte und wer die Beteiligten gewesen … »Ich werde wohl noch einmal hinaufgehen müssen zu den doppelten Damen und dem Rittmeister«, sagte der Major, »schon um mich wegen meines Ausbleibens zu entschuldigen, in einer Woche vielleicht; jetzt hab' ich wenig Lust dazu. Zweitens aber bin ich freilich selbst doch irgendwie neugierig. Und drittens gibt es dort noch einiges zu besprechen.« Er sah Thea an. Von den Papieren hatten weder sie noch er ein Wort geredet. Er nahm kurz ihre rechte Hand und küßte sie. Den Werkmeister Pichler schien das irgendwie zu bewegen, sein Blick lag durch Augenblicke auf Melzer mit besonderer Wärme. Unvermutet erschien Theresia Schachl im Garten mit Kaffee für alle. Sie nahm die Verlobung auf eine Weise zur Kenntnis, welche die ihr gemachte Mitteilung als bloße Formalität erscheinen ließ: ihr schien die Geselligkeit, die nach Mariä Geburt stattgefunden, zur Erfassung des Sachverhaltes genügt zu haben. Als dieses Beisammensein, das nun schon wieder über vierzehn Tage zurücklag, gestreift ward, biß die Pichler auf ihr eigentliches Thema, einen Vorsatz nämlich, der sich inzwischen in ihr erhoben haben mochte: »Die Verlobung wird hier gefeiert, das sag' ich euch, hier im Garten!« rief sie. »Das ist ja eigentlich selbstverständlich«, bemerkte der Werkmeister, der sich damit heute zum ersten Male vernehmen ließ, aber gleich in einer den Kern der Sache treffenden Weise. Nun wurde erörtert: wann; und wer einzuladen sei. Um die familiären Instanzen war nicht herumzukommen (bei Melzer gab es allerdings keine). Das hieß also: die Eltern Rokitzer, die Tanten Zihal und Oplatek (den Amtsrat freilich empfand da jedermann als eine Art Prachtstück des Festes, wie einen barocken TafelAufsatz); ferner Paulas Mutter und deren Mann; aber ohne jüngere Loiskandl'sche Generation – gegen die Hedwig Loiskandl legten die Pichlers wie aus einem Munde Verwahrung ein. Den Termin ließ man noch offen. »Vielleicht, wenn der Herr Major seinen Besuch bei den doppelten Damen hinter sich hat«, sagte die Pichler, »da gibt's dann gleich was zu hören für uns. Die anderen allerdings geht's ja nichts an. Aber mit diesem Besuch wird noch so manches klar werden.« Melzer und Thea haben an diese Worte Paula's bald danach mit Lebhaftigkeit sich erinnert: und da erschienen sie den beiden fast prophetisch. Des René Stangeler gedachte niemand, auch Paula nicht. Man war bei dem Plan zum Verlobungsfeste sozusagen von dem Bilde ausgegangen, das sich am 9. September hier im Gärtchen geboten hatte; und auf diesem Bilde fehlte René. Daß er inzwischen schon die Absicht gefaßt hatte, nach der nunmehr über mancherlei Schwankung zwischen familiären und unfamiliären Extremen, doch irgendwie eingetretenen Konsolidierung des Verhältnisses zu Grete Siebenschein – und dieses war durch die Tote gleichsam sanktioniert worden – noch einmal auf's Land zu fahren, wo die Eltern bis in den Oktober Haus halten wollten, das wußte hier niemand. Und gegen Ende der Woche, die mit Marys Katastrophe begonnen hatte (von welcher er freilich durch Grete erfuhr) ist Stangeler abgereist, einem tiefen Einatmen und Ausatmen mit unbezwinglichem Verlangen entgegen und der Stille des fast leeren Hauses, darin jetzt nur die alten Leute saßen, während draußen den Bäumen der bunte Mantel mehr und mehr entglitt und alles sichtiger und räumiger wurde, alles nach allem, während die Luft chinesische Seide spann über den fernen,
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