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Die Strudlhofstiege

Die Strudlhofstiege

Titel: Die Strudlhofstiege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heimito von Doderer
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öffnen zu einem Abgrunde der Angst. Aber es befand sich ja die Rokitzer nicht mehr sozusagen in den Händen der Rak, sondern sie stand hier vor der Tür und klopfte an.

    Der Aufzug des Lämmleins war nahezu unbeschreiblich, von nicht geringer Komik (für uns), von allersüßester Holdseligkeit (für Melzern). Die Rak, von geringerer Statur als Thea, hatte lang mit funkelnden Äuglein gewählt und schließlich ein blauweiß gemustertes Sommerkleid hervorgezogen, das vielleicht aus einer Zeit stammen mochte, wo sie selbst noch völliger gewesen und das seither nicht geändert worden war. Zum Glück folgte die Rechnungsrätin nicht in allem der Mode, vornehmlich in Ansehung der Röcke nicht, welche man damals schon recht kurz trug, wenngleich ihr Schwund erst gegen 1927 den Tiefpunkt oder eigentlich Höhepunkt erreichte; wäre die Rak in dieser Beziehung auf der Höhe ihres Zeitalters gestanden, dann hätte unsere Rokitzer, als sie jetzt bei dem Major eintrat, die Säume handbreit über den Knien gehabt, gelinde geschätzt. Aber dem war nicht so. Wahrscheinlich eigneten dem Pierrot Pilzbeinchen und dazu passende Knie, welche nicht gezeigt werden wollten, und so blieb denn jetzt die Adjustierung der Thea noch innerhalb des Möglichen. Sie war eingeknöpft oder eingehaftelt in dieses Sommerkleid als in eine Art prall sitzender Wursthaut. Unterm Arm trug sie ihre, für die Maße der Mode jener Zeit, allzugroße Ledertasche (welche den Autor dieser Erzählung, so oft er das Ding zu Gesicht bekam, immer wieder an die seinerzeitige Ankunft der Editha Schlinger in Buenos Aires erinnerte: sie kam auch mit so etwas unterm Ellenbogen von Bord, wenn auch nicht geradezu mit einer Tasche mit Traghenkeln, so immerhin mit einer solchen nach der damaligen Wiener Mode: ein sehr längliches Rechteck von starkem Krokodil-Leder mit einem schweren Metallbügel. Alsbald jedoch, als die Schlinger gewahr wurde, was die Damen hier trugen, ließ sie sich zu Harrods in der Florida fahren, und glich sich sofort den hiesigen Gepflogenheiten an, auch in einigen anderen Hinsichten noch). Mit jener auffallend großen Ledertasche der Rokitzer nun hatte es natürlich seine Bewandtnis: es war dies nämlich in gewissem Sinne ein Relikt aus ihrer film-aspirantischen Zeit, die ja so lange noch nicht vorbei war. Bis dahin trug sie immer die Photographien mehrerer Größen jener Welt, sowohl männlicher wie weiblicher, mit sich herum, sowie eine Reihe von Zeitungsausschnitten mit Bildern und Besprechungen, und dazu noch einige Kabinett-Photos ihres eigenen hübschen Gesichts, um solche gleich zur Hand zu haben, wenn sich irgendeine Gelegenheit ergäbe. Aber es ergab sich nie eine. Und heute barg die Ta sche eine nicht geringe Überraschung für Melzer … Solchermaßen also trat sie ein: im ganzen wirkten Gesicht und Gestalt in diesem Aufzuge etwa so wie ein kostbarer Gegenstand, den einer gestohlen und rasch in etwas ganz Billiges eingewickelt hat … so war's für Melzer: die Macht der natürlichen blühenden Schönheit ohne jede Hilfe der Toilette war's, was ihn antrat; ja, er empfand's durch einen winzigen Augenblick fast, als käme Thea hier nahezu unbekleidet herein. Hinter ihr das Mädchen mit dem Teebrett. Sie stellte dieses auf den Tisch diagonal gegenüber dem Kamine in der anderen Ecke des großen Raumes (es war der Tisch, welcher am vorgestrigen Samstage zur Festjause gedient hatte), ordnete alles und schob zwei Sessel zurecht. Offenbar sollte man diesmal hier in der Ecke den Tee trinken; es war für Zweie auch gerade bequem; auf das Bärenfell vor dem Kamine aber durfte ja das Mädchen nichts stellen, weder Tisch noch Sessel. Nun war sie auch schon verschwunden.
    Beide, Melzer und die Rokitzer, hatten ein wenig Hunger, und auch der starke dunkle Tee war ihnen sehr willkommen, denn es machte sich in der Tiefe bei ihnen schon die beginnende Abspannung geltend: über welche hinaus und hinüber sie aber gespannt blieben wie die Brückenbogen. Alles ging nebenhin mit. Das Innere Melzers wäre jetzt einem offenen Zimmer zu vergleichen, in welchem man auch alle Türen der Schränke und die Kommoden geöffnet hat und die Fenster dazu. Keine Riegel knackten. Es waren gar keine mehr vorhanden. Kaum Wände. Melzer ergab sich, hatte sich bereits gänzlich ergeben. Der große Rutsch war da. Alles stand in den geöffneten Breschen seines Wesens, bereit, hindurch und hinaus zu fallen, zu strömen, zu schwemmen; und nur die hauch dünne gespannte Oberfläche

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