Die Strudlhofstiege
hatte seit der Rückkehr Theas von St. Valentin mit Befriedigung und Erleichterung einen Wandel ihres Wesens bemerkt. Von dem am Samstag, dem 29. August, erfolgten Zusammenbruche der filmischen Pläne und der seit Sonntag, dem 30. verhängten Eulenfeld'schen Pönitenz wußte man zwar so genaues nicht, immerhin fiel eine Veränderung ihrer Lebensweise auf, ihr pünktlicheres Erscheinen zum Abendessen und ihr Daheimbleiben nach diesem. Hinter alledem hervor trat nun urplötzlich Melzer. Kein Wunder, daß man's auf ihn bezog. Und so erschien er gleichsam als die Personifikation von Theas Wandlung. Zudem ging jetzt und hier von ihm eine Bestimmtheit aus, die umso sicherer wirkte, als er nichts davon wußte. Am Ende seines Berichtes über den Unfall, und bevor Thea noch erschienen war, ersuchte der Major den Vater Rokitzer um eine Unterredung am näch sten Tage – »in einer auch mich betreffenden Angelegenheit« – und wurde für die Zeit nach sechs Uhr abends gebeten. Offenkundig lag bereits, worum es hier ging. Melzer blieb nicht mehr lange. Er wartete nur das Wiederkommen Theas ab und empfahl sich sodann. Sie konnte ihn noch ins Vorzimmer und bis zur Türe begleiten. Dort sagte er ihr, daß er morgen abend zu ihrem Vater kommen würde: sie möge ab sechs Uhr daheim sein. Er küßte mit starkem Druck ihre Hand. Als Thea in das Speisezimmer zurückgekehrt war, fand sie dort eine Lage, welche dazu nötigte, den Eltern sogleich alles zu sagen. Auch wer Melzer sei, genau. Das hatte eine merkwürdig aktivierende Wirkung auch bei dem Vater Rokitzer, und zwar am nächsten Morgen. Er stellte seine Frau für eine Stunde in's Geschäft und begab sich zur Generaldirektion der Tabak-Regie, in die Porzellangasse, wohin es ja nicht weit war. Durch den Portier erfuhr er die Abteilung, in welcher Melzer sich befand, und auch den Namen des Vorstandes derselben. Bei diesem ließ sich Rokitzer melden. Sein Geschäft pflegte auch Aufträge für Visitekarten zu übernehmen: und so besaß er denn selbst gleichfalls welche. Alles fügte sich. Der Hofrat war ein Humanist in jedem Sinne (beim höheren Zihalismus eine Selbstverständlichkeit) und so erkannte er denn auf den ersten Blick Natur, Herkunft, ja fast auch die Profession des anständig-besorgten Mannes, der hier neben dem Schreibtische Platz genommen hatte. »Lieber Herr Rokitzer«, sagte er, nachdem die hier erschienene Partei vorgebracht hatte, was in keinem Akt noch niedergelegt war, wohl aber ihr gar sehr am Herzen lag, »lieber Herr Rokitzer«, sagte der Hofrat, »wenn Ihr Töchterl sich mit dem Herrn Major verlobt hat, ja da kann ich Ihnen und ihr nur gratulieren. Wir haben in dem Herrn Major eine höchst achtenswerte Persönlichkeit vor uns, sei's als Offizier – er ist Inhaber des Leopolds-Ordens – als Beamter oder als Mensch schlechthin. Seinen Vater hab' ich gekannt, das heißt, ich bin bei ihm in der Einjährig-Freiwilligen-Schul' gewesen, das war in Wels, da war der Vater von unserem Herrn Major Rittmeister. Seine Mutter ist die Tochter eines k. u. k. Generalkonsuls. Ich sage Ihnen das alles nur, Herr Rokitzer, um die Angelegenheit für Sie sozusagen in's richtige Licht zu rücken. Und wie alt ist Ihr Kind, wenn ich fragen darf?«
»Im vierundzwanzigsten«, sagte der besorgte Papierhändler. Er griff in seine Brieftasche, und hier zeigt sich für uns, daß er stets ein Bild Theas bei sich zu tragen pflegte. Nun legte er's auf den Schreibtisch. »Aber, reizend!« rief der Hofrat, der sich darüber gebeugt hatte und bei sich im Stillen dachte: ›jetzt schaut's den Melzer an, so ein Schlankl…‹ Das Übrige kann man überspringen, denn es versteht sich wohl von selbst, daß der Major abends gleich bei der Familie Rokitzer zum Essen geblieben ist. Vormittags war Thea im Unfall-Krankenhaus gewesen. Melzer hatte sie gebeten, gleich am nächsten Morgen Auskünfte einzuholen: ohne daß er in der Lage gewesen wäre, ihr den Namen sagen zu können, welchen Mary jetzt trug. Den Goldreif an ihrem Händchen hatten sie wohl beide erblickt, das war alles. Die Wirkung, welche Melzers Unkenntnis auf Thea hatte, kann – uns obliegt die Wahrheit – als nachteilig nicht bezeichnet werden. Was sie erfuhr, war, daß keine Lebensgefahr bestehe, ein Empfang von Besuchen aber zunächst ausgeschlossen sei. Von dem an unterhielten Melzer und Thea eine Art regelmäßigen Dienst in dieser Sache. Vormittags wurden durch Thea Auskünfte eingeholt, nachmittags, wenn Melzers Amtsstunden zu Ende
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