Die stummen Götter
herabgestürzte Felsplatte – obwohl sie mich auch ebensogut hätte erschlagen können – ge rettet hatte.
Meine Schmerzen nahmen wieder zu, und ich probierte es mit einer dieser roten Kapseln, von denen man mir einmal ge sagt hatte, daß sie in solchen Fällen helfen würden. Mein Him mel, wann war das gewesen, und wo war das gewesen? Wie weit doch lag alles hinter mir! Wie endgültig weit!
Ich wartete die Wirkung ab, was nicht besonders lange dauerte, und hatte dann am ganzen Körper ein taubes und zu gleich dehnendes Gefühl, als hätte man Luft in mich hineinge pumpt und meine Haut säße nun straff und zum Zerreißen angespannt über dem Gewebe. Doch ich konnte mich jetzt wie der freier bewegen, und auch mein Kopf wurde klarer.
Im Kommunikator aber immer noch Castors Stimme, die von Hilvertrop auch und die von anderen.
Was sagten sie da?
„Ein energoelastischer Abfangschlag war das. Die Kennzeichen sind eindeutig.“ Ich kannte ihn nicht, der dort sprach.
Und ein anderer: „Es könnte auch eine statopotentielle Aus lösereaktion gewesen sein. Die Leistungswerte scheinen doch weit über denen zu liegen, die wir eingesetzt haben. Unser Feld muß zusammengebrochen sein wie ein morscher Luftballon. Unglaublich eigentlich.“
Und Castor selbst: „Das reicht immer noch nicht aus mit den Sonden! Herrgottnochmal, wenn ich doch Verbindung bekäme! Ich muß doch wissen, wie viele überlebt haben!“
Und der Chefingenieur schließlich: „Überlebt? Bei diesem Stoß? Ich fürchte, Navigator, ich fürchte...!“
Ich glaube heute, daß ich tatsächlich gelächelt habe bei die sem Gerede. Ein böses und schlimmes Lächeln freilich. „Stato- potentielle Auslösereaktion!“ Damit meinten sie wohl, daß un ser Angriff eine bereits vorbereitete und aufgespeicherte Gegen energie ausgelöst hatte. Und „energoelastischer Abfangschlag“ erst! Ich schüttelte den Kopf. Wie lächerlich das für mich klang, wie aberwitzig und ganz und gar vergeblich auch. Denn ich hatte hier eine Aufgabe! Vielleicht zum erstenmal in meinem Leben eine wahrhaftige Aufgabe, und die hieß Baskow! Ein Menschenleben war in meine Hand gegeben, und ich verstand endlich, wie grundsätzlich und elementar eine solche Verant wortung war. Daß sicher trotz allem auch der Erste Navigator so denken mochte – soviel Gerechtigkeit aufzubringen, war ich in jener Stunde nicht mehr in der Lage.
Ich trat endlich an die Bastion heran – abermals verstärkte sich das Ticken meines Dosimeters –, und ich schaute ein Bild des Grauens.
Der gesamte Bergkessel dampfte und qualmte noch. Der Sand in ihm war blasig aufgeschmolzen zu glasähnlicher Lava, be gann wohl gerade abzukühlen, denn ein feines Klirren und Knacken drang an mein Ohr, und also würden bald Millionen von spinnenwebfeinen Rissen den Glassee dort unten durch ziehen. Hunderte Jahre mochte es wohl dauern, ehe die Tem peraturstürze auf Tantalus und die Regengüsse den ehemaligen Zustand wieder hergestellt haben würden. Unsere Fahrzeuge unter mir waren ein einziger wirrer, still rauchender Haufen. Die Luft zitterte immer noch über ihnen unter der Hitze, die sie ausströmten, und ich sah zerrissene Kombinationen herumliegen, so etwas wie den verkohlten Rumpf eines Menschen, und das war dann alles.
Mir wurde klar, daß niemand mehr lebte dort unten. Kein einziger! Von unseren Titans war keine Spur mehr zu sehen, und ein quadratmetergroßer, kegelig aufgebogener Blechfetzen, der mitten im Kessel lag, mochte wohl von einem der Mannschaftswagen stammen, die den Angriff auf den Turm gefahren hatten. Vielleicht war das Trümmerstück in die Luft geschleu- dert worden und erst wieder herniedergefallen, als die Frontwelle der Antimateriereaktion bereits durchgerast war.
Auch ringsum die Felsen, so weit ich zu sehen vermochte, waren von dem ungeheuren Gluthauch aufgeweicht worden, hatten zu schmelzen und zu sintern begonnen, und nun überzog weithin eine im Lichte funkelnde und spiegelnde Aufschmel zungsschicht das von der Strahlung deformierte Gestein. Er schauernd erfüllte mich die Erkenntnis, daß den Problemator und mich wahrhaftig nur ein phantastischer Zufall gerettet hatte. Dort unten jedenfalls war niemandem mehr zu helfen, und keines Menschen Fuß würde den Kessel für die nächsten paar Tage betreten können.
Die weißen Quader aber, die „Spargel“ und der Turm selbst standen nach wie vor unversehrt und als sei nie etwas ge schehen an ihrem alten Platz. Nur eben, daß im Turm das Tor
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