Die Stunde der Gladiatoren
geborener Bürokrat, setzte diesbezüglich vollstes Vertrauen in ihn, wohingegen er den Griechen, Antigonosâ Landsleuten, eher mit Misstrauen begegnete. Varros Ansicht nach taugten die Hellenen nicht viel, und wer den Fehler beging, ihnen Geld zu leihen, lief Gefahr, es nicht wiederzusehen. »Soll nicht wieder vorkommen!«
»Ich weià nicht, wie oft du das schon gesagt hast!«, gab Varro zur Antwort, längst wieder in die Schriftrolle vertieft, welche er mit gerunzelter Stirn überflog. Für ihren Erwerb hatte er ein kleines Vermögen bezahlt, aber das war ohne Belang. SchlieÃlich handelte es sich um eine Abschrift von âºDe Vita Caesarumâ¹ von Sueton, das allein war Rechtfertigung genug. Um Material für seine âºKriminalgeschichte des Römischen Reichesâ¹ zu beschaffen, scheute er weder Kosten noch Mühen, selbst auf die Gefahr, als Verschwender dazustehen. »Also: Wo waren wir stehen geblieben?«
»Beim Tod des göttlichen â¦Â«, begann der greise Hauslehrer, wurde jedoch umgehend unterbrochen.
»Tiberius â stimmt!«, murmelte Varro und setzte seine Wanderung durch das Studierzimmer, in dem eine heillose Unordnung herrschte, mit nachdenklicher Miene fort. Ãberall, selbst auf Varros Klappstuhl, lagen Papyrusrollen herum, manche verschnürt, andere achtlos hingeworfen. Das Regal neben dem Stehpult quoll davon fast über, von Schreibtafeln, Griffeln und vollgekritzelten Pergamentstreifen ganz zu schweigen. »Merkwürdig, da soll mal einer schlau daraus werden.«
»Aus was denn?«
»Hör dir das mal an: âºManche sagen, es sei ihm von Gaius ein langsam wirkendes, zehrendes Gift beigebracht worden; andere, man habe ihm Nahrung verweigert; einige, er sei mit einem Kissen erstickt worden, als er â¦â¹Â«
»Mit einem Kissen? Wie umständlich!«
»Erstens: Habe ich dir eigentlich schon gesagt, dass dein Humor nicht jedermanns Sache ist?«
»Und zweitens?«, antwortete der Zypriote, zu dessen hervorstechendsten Merkmalen das verfilzte graue Haar, abstehende Ohren und listig blinzelnde Augen gehörten, denen nichts, was sich in seiner Gegenwart ereignete, zu entgehen schien.
»Zum Zweiten, mein Lieber, wäre ich dir dankbar, wenn du mir nicht andauernd ins Wort fallen würdest«, grummelte Varro, der Antigonos, dem unverzichtbaren Faktotum, einfach nicht gram sein konnte. »Sonst kommen wir auf keinen grünen Zweig.«
»Ich höre.«
»Schreib auf: Tiberius Claudius Nero, Nachfolger des Augustus, starb im 78. Jahr seines Lebens, im 23. seiner Regierung beziehungsweise am 16. März, unter dem Konsulat des Gnaeus Acerronius Proculus und des Gaius Pontius Nigrinus.«
Antigonos rührte keinen Finger.
»Was ist? Passt dir etwas nicht?«
»Wenn du mich so fragst, Herr â ja.« Der Zypriote wog bedächtig das Haupt. »Was du diktiert hast, hört sich â mit Verlaub â viel zu trocken an. Ich denke, es wäre besser, wenn das Ganze ein wenig ⦠hm ⦠wenn es ein wenig â¦Â«
»ReiÃerischer klänge?«
»Genau!« Antigonos lächelte verschmitzt, wobei Varros Verdacht, ihm seien die Worte in den Mund gelegt worden, nicht gänzlich unbegründet war. »Unter uns, Dominus: Wir beide, du und ich, würden uns freuen, wenn deine Kriminalgeschichte so viele Leser wie möglich fände, richtig? Ich sehe, wir denken das Gleiche. Nun gut, wenn das so ist, sollten wir uns über ein paar Dinge im Klaren sein.«
»Und die wären?«
»Das Volk giert nach Sensationen, Herr.«
»Dann sollen die Leute ins Amphitheater gehen.«
Antigonos atmete geräuschvoll aus. »So merkwürdig dies auch klingen mag, mein Gebieter, dies trifft auch auf das Lesepublikum zu.« Antigonos rieb sich die Nasenspitze, darauf bedacht, die Worte sorgfältig zu wählen. »Ob du es nun hören willst oder nicht: Die Leute interessiert es nicht, wann genau dieser oder jener Kaiser in die elysischen Gefilde entschwebt ist. Sie wollen wissen, was für eine Sorte Mensch er war. Für Tugendbolde vom Schlag des Augustus haben die nicht viel übrig.« Antigonos gab ein verächtliches Schnauben von sich. »76 Jahre, davon 52 Jahre verheiratet, und dann auch noch friedlich im Bett entschlummern â langweiliger geht es wirklich nicht. Ausschweifungen, Komplotte, Morde aus Eifersucht,
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