Die Stunde der Gladiatoren
der Zeit, sich vorzustellen?«
»Tut mir leid, ich vergaÃ!«, zahlte Varro im gleichen Tonfall heim, trat auf Scorpio zu und zischte: »Gaius Aurelius Varro, Dekurio und Advocatus â und das hier ist mein Freund Probus, Medicus von Beruf.«
»Und Kriminalist!«, flötete Varros Freund, der im Verlauf der Unterhaltung nähergetreten war, Scorpios Dolch an sich genommen und ihn lang und eingehend betrachtet hatte. »Was meinst du, Silvanus â ist das der Dolch, mit dem der Retiarius getötet worden ist?«
Silvanus nickte stumm.
»Gut zu wissen, damit wäre auch das geklärt.« Probus gesellte sich zu Varro, durchbohrte den Präfekten mit seinem Blick und sagte: »Mit Rücksicht auf Merabaudis würde ich es vorziehen, nicht näher auf den Zustand des Leichnams einzugehen. Es sei denn, du streitest alles ab. Sollte das der Fall sein, wäre ich gezwungen, Klartext zu reden. Anhand der Wunden, die zum Tod von Niger geführt haben, wäre ich jederzeit in der Lage, einen Vorsatz nachzuweisen. Damit wir uns richtig verstehen: Du brauchst erst gar nicht versuchen, dich herauszureden. Das war Mord, Scorpio â eiskalter Mord. Und noch was: Als Militärarzt bin ich einiges gewöhnt. Aber eine derart ausgeprägte Lust am Töten habe ich noch nie erlebt. Das war schändlich, nicht einmal die Barbaren würden so etwas tun!«
»Noch Fragen?«
»Ja, Advocatus«, antwortete der Präfekt, ohne eine Miene zu verziehen. »Können wir unter vier Augen reden?«
»Falls das ein Bestechungsversuch werden soll, kannst du dir die Mühe sparen.«
»Ich will mal so sagen: Ich kann mir kaum vorstellen, dass du mein Angebot ausschlagen wirst.«
»Sag, was du zu berichten hast â dann sehen wir weiter.« Varro gab Syphax einen Wink, den Präfekten nicht aus den Augen zu lassen. Dann nahm er ihn beiseite.
Und traute seinen Ohren nicht.
»Du verlangst doch nicht, dass ich das glaube!« Zuerst dachte Varro, alles sei nur ein Scherz. Ein Scherz oder der Versuch, Zeit zu gewinnen. Doch dem war nicht so. Je intensiver er nachhakte, desto mehr dämmerte ihm, dass der Präfekt die Wahrheit sagte.
Bleich wie der Tod stierte der Advocatus in die Finsternis. Er war fassungslos, hatte weder Augen noch Ohren für die Anwesenden, noch für das Unwetter, welches ringsum tobte. »Na, habe ich dir zu viel versprochen?«, stichelte Scorpio, zufrieden, dass sein Plan aufzugehen schien. »Wenn du willst, kriegst du es auch schriftlich â meine Aussage, die Namen der Mitverschworenen, einfach alles! Vorausgesetzt, ihr lasst mich laufen. Nur ein Wort, Advocatus â und du siehst mich garantiert nie wieder!«
Wie vom Donner gerührt stand Varro einfach nur da, wortlos, gebeugt und fassungslos.
»Na, dann kann ich ja wohl gehen, oder?« Scorpio, der sich auf der SiegerstraÃe wähnte, setzte ein zynisches Lächeln auf. Dann blinzelte er Aspasia zu, hob die Hand zum GruÃ, wandte sich um â und erstarrte.
Vor ihm, erhellt durch einen fulminanten Blitz, stand ein Junge. Ein Junge von sechs Jahren, schmächtig, blauäugig und mit pechschwarzen Locken. »Nein, kannst du nicht!«, sagte er mit tonloser Stimme, trat näher und zielte mit der Schleuder, welche er in Händen hielt, auf Scorpios Stirn: »Nimm das, Schurke â für meinen Vater!«
XXIX
Palastaula, eineinhalb Stunden vor Mitternacht
[22:00 h]
»Eine Audienz beim Kaiser â unter vier Augen?«, entrüstete sich der Zenturio, der Varro den Zutritt zur Audienzhalle verwehrte, »da könnte ja jeder kommen!«
»Zu deiner Information«, giftete der Advocatus zurück, durchnässt, auÃer Atem und nicht in der Stimmung für langatmige Erklärungen, »ich war schon Zenturio, als du noch Windeln getragen hast! In Eboracum, falls dir der Name etwas sagt. Und später Tribun â aber das nur nebenbei.«
Der Zenturio, ein blasierter Schönling in Paradeuniform, sah Varro von oben bis unten an, rümpfte die Nase und sah sich Beifall heischend um. Dann, nur mäÃig beeindruckt, reckte er das Kinn nach vorn. »Und wenn du drei Legionen gleichzeitig kommandiert hättest â hier kommst du nicht rein. Ich habe meine Befehle. Und an die muss ich mich halten.«
»Was du nicht sagst!«
»Wenn du denkst, du kannst mich schikanieren, bist du schief
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