Die Stunde der Hexen - Midnight Hour 4 - Roman
hatten. Unser Zweierrudel, wie ich es nannte. Männchen und Weibchen, die sich paarten. Auf diese Weise klang es, als seien unsere Wolf- und unsere Menschenseiten zwei unterschiedliche Wesen, voneinander getrennt, verschiedenartig. Doch unsere Menschenseiten hatten dem Drang nicht widerstanden. Es war leicht gewesen, so in das Leben des anderen zu fallen. Ben und ich waren Freunde gewesen, bevor er zum Werwolf geworden war. Wenn sich uns die Zeit und Gelegenheit geboten hätten, wäre vielleicht mehr aus uns geworden. Jetzt würde ich das niemals wissen. Meist gelang es mir, diesen nagenden Wurm des Zweifels zu ignorieren, der andeutete, dass es nicht richtig war. Dass sich das hier irgendwie gegen meinen Willen ereignet hatte. Ben war ein guter Mann, und ich konnte von Glück sagen, ihn in meinem Leben zu haben. Wir passten aufeinander auf. Doch manchmal hatte unsere Beziehung etwas von einem Zwischenstadium. Wir waren nur auf Zeit mit von der Partie.
Ich schlief wie ein Stein, und mir war übel, als ich aufwachte. Zu hart gearbeitet, sagte ich mir. Am gestrigen Tag hatte ich nichts gegessen, doch ich konnte nichts frühstücken. Heute Morgen war der Tag des Vollmonds
angebrochen. Wir mussten losfahren, die Stadt hinter uns lassen, zu einem Ort, an dem wir uns in Sicherheit verwandeln konnten. Zu unserer Sicherheit und der aller anderen.
»Alles in Ordnung? Du siehst ein bisschen grün um die Nasenspitze aus«, sagte Ben, als wir das Auto vollluden. Gewöhnlich war ich es, die ihn an Vollmond fragte, ob alles in Ordnung sei. Er war immer noch ein neuer Wolf, war immer noch dabei zu lernen, wie er sich selbst unter Kontrolle hielt. Ich musterte ihn; er wirkte ein wenig blass, ein wenig angespannt. Er hatte diese Angewohnheit, sich von seinen eigenen Nöten abzulenken, indem er sich Sorgen um mich machte.
»Bloß ein bisschen durch den Wind«, sagte ich. »Aus irgendeinem Grund nicht bereit für heute Nacht.«
Ben schenkte mir ein grimmiges Lächeln. Er fing an zu begreifen.
Unser Revier war in den Gebirgsausläufern im südlichen Colorado. Nach einer dreistündigen Autofahrt gelangten wir in eine abgelegene Ecke des Staatsforstes. Hier draußen war es nicht gestattet zu zelten, und wir mussten uns keine Sorgen um vereinzelte Wanderer machen. Wir wären ganz unter uns.
Bei unserer Ankunft blieben wir im Auto sitzen.
»Du siehst immer noch nicht gut aus«, sagte Ben erneut.
»Mir geht’s gut.«
»Bist du sicher? Du …« Er hielt inne und spitzte die Lippen. Es war ihm sichtlich unangenehm. »Du riechst nicht normal.«
Entgeistert starrte ich ihn an. »Ich rieche nicht normal?«
»Ich weiß nicht, ich kann es nicht erklären. Du riechst einfach komisch. Egal.«
Großartig. Jetzt roch ich also komisch . »Ich bin bloß müde«, meinte ich mürrisch.
»Selbst jetzt noch?«
Jetzt, in der Vollmondnacht, kam die andere Hälfte unseres Wesens zum Zug. Die Wölfe konnten rennen, und sie bahnten sich mit all der Gewalt wilder Tiere, die sie waren, einen Weg an die Oberfläche. Es fühlte sich an, als habe man einen Rausch, als sei man high, und so sehr wir auch behaupteten, es zu hassen, konnten wir es doch kaum erwarten, da draußen herumzulaufen und uns zu verwandeln. Es zog uns magisch an.
Ich fühlte mich träge.
»Mir geht es gut«, sagte ich. »Bringen wir es hinter uns.«
Wir ließen den Wagen stehen und wanderten in die Wildnis.
Ben wurde allmählich gut darin, seinen Wolf zu beherrschen. Dies war sein fünfter Vollmond. Er schaffte es vom Auto bis zum Wald, sich im Griff zu haben und sich keine Krallen wachsen zu lassen. Beinahe gelang es ihm, jedes Anzeichen zu verbergen, dass er kurz davorstand, sich zu verwandeln. Doch ich merkte es ihm an: Sein Herzschlag ging zu schnell, und er schwitzte.
Wir hatten eine Höhle, einen geschützten Ort, an dem wir außer Sicht waren und an dem es warm und sicher war. Wir zogen uns aus und verstauten unsere Kleidungsstücke: Hemden, Jeans und Schuhe. Der Mond
ging gerade auf und war hell genug, Schatten durch den Wald zu werfen.
Ben sah zu den Bäumen hinaus. Sein Atem bildete dünne Wölkchen in der kühlen Luft. Ich ging um Ben herum, berührte ihn am Arm und ließ meine Hand über seine Schultern gleiten. Im Mondschein sah er bleich aus. Seine Haut war heiß; unter meiner Berührung erzitterte er. Er drehte sich zu mir, neigte den Kopf und küsste mich am Ohr, am Hals, rieb seine Nase an mir. Ich presste mich an ihn. Nackt im Wald, von Mondschein
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