Die Stunde der Hexen - Midnight Hour 4 - Roman
Mensch durchzugehen , sich harmonisch in die Gesellschaft einzufügen , dann ist es wohl auch eine Behinderung. Aber hast du je daran gedacht, dass wir die Auserwählten sind? Das Schicksal hat uns gezeichnet, und wir sind das geworden, was wir sind. Wir sind überlegen, auserwählt, und eines Tages werden wir die Welt beherrschen. Die Vampirfamilien wissen das. Sie bereiten uns, die Herren der Nacht, darauf vor, einmal die Herren von allem zu sein. Wir sind an der Spitze der Nahrungskette. Eines Tages wird die Menschheit diese Wahrheit erkennen.«
Mittlerweile hatte ich ein Dutzend Versionen dieser Nummer gehört. Glücklicherweise redeten Vampire immer nur davon, die Weltherrschaft an sich zu reißen.
Ich würde mir erst Sorgen machen, wenn sie nicht mehr davon sprachen.
»Warum erzählst du mir das?«
»Ich möchte, dass du die Wahrheit kennst.«
»Tja, danke für die Durchsage. Ich schmeiß dich jetzt
raus, denn dein Egotrip heute Abend hat schon lange genug gedauert. Der nächste Anrufer - oh, ich glaube, ich habe hier ein Streitgespräch für uns. Hallo Jake? Du bist live auf Sendung. Was hast du für mich?«
»Ähm, Kitty? Oh, wow! Ich meine - hi.«
»Hi. Du hast also eine Reaktion auf unseren geschätzten Vampiranrufer.«
»Oh, und wie! Dieser Typ ist so was von …« - er hielt inne, während er sich amüsanterweise selbst zensierte - »… überheblich. Ich meine, ich würde nur zu gern wissen, wie ich bei dieser ganzen Weltherrschaft der Vampire mitmischen kann. Denn ich bin ein Vampir, und ich hocke hier fest und arbeite die Nachtschicht im Speedy Mart. Ich befinde mich nicht an der Spitze der Nahrungskette.«
»Du gehörst nicht zu einer Familie?«
Jake lachte in sich hinein. »Ohne deine Sendung wüsste ich noch nicht einmal etwas von Familien.«
Das war der Teil der Show, der mir ein mulmiges Gefühl bereitete. Da draußen gab es Leute, für die ich die einzige Informationsquelle darstellte und die mich als Rettungsanker benutzten. Das lastete ganz schön auf mir. Ich musste mir aufmunternde Worte für jemanden einfallen lassen, der eine wirklich miese Hand ausgeteilt bekommen hatte: bis in alle Ewigkeit in der Nachtschicht im Speedy Mart arbeiten zu müssen.
»Ich weiß, dass das deine persönliche Angelegenheit ist«, sagte ich, »aber ich gehe mal davon aus, dass du unter gewaltsamen Umständen zum Vampir gemacht worden bist, gegen deinen Willen.«
»Stimmt genau. Und wenn das auch nur das Geringste
mit Schicksal zu tun gehabt haben sollte, würde ich auf jeden Fall gern wissen, warum.«
»Ich wünschte, ich hätte eine Antwort für dich, Jake. Du hast schlechte Karten. Aber da sowohl du als auch ich wissen, dass das Ganze nichts mit Schicksal zu tun hat, bleibt dir die Wahl, was du damit anfangen willst.«
»Ich wollte wirklich bloß die Kehrseite der Medaille erzählen. Meine Seite. Dieser Kerl hat nicht im Namen aller Vampire gesprochen. Danke, dass du mir zugehört hast.«
»Dafür bin ich da. Ich werde jetzt zum nächsten Anrufer übergehen, okay? Viel Glück, Jake.«
Und so weiter.
Ich hörte von Männern, Frauen, Vampiren, Menschen, menschlichen Dienern von Vampiren, von Leuten, die witzig, traurig, verwirrt oder zornig waren. Die Probleme reichten von töricht bis furchterregend. Geschichten von Menschen, die in Leben gefangen waren, die sie nicht erwartet hatten, denen sie nicht entkommen konnten. Oft wusste ich nicht, was ich ihnen sagen sollte. Ich fühlte mich nicht berufen, ihnen Ratschläge zu erteilen - ich konnte kaum auf mich selbst aufpassen. Doch ich hatte schon früh gelernt, dass die Leute ihre Probleme oft einfach nur loswerden wollten. Und sie brauchten jemanden, der ihnen zuhörte. Die Leute sehnten sich verzweifelt nach einem Gespräch, und viele hatten niemanden, mit dem sie reden konnten.
Darüber zu sprechen ließ eine Sache - ein Problem, eine Schwäche, eine Angst, eine Hoffnung - Gestalt annehmen, sodass man sich ihr leichter stellen, sie leichter kontrollieren konnte.
Ich täte gut daran, das in meinem eigenen Leben zu berücksichtigen.
»Ich habe Zeit für einen weiteren Anruf. Becky, du bist auf Sendung.«
»Hi Kitty«, sagte eine Frau, die ziemlich nervös klang. »Ich rufe nicht wegen Vampiren an. Ich hoffe, das geht in Ordnung. Es ist wichtig, glaube ich.«
Gegen Ende der Sendung machte es nicht viel. »Wo liegt das Problem?« Ich zweifelte nicht daran, dass sie ein Problem hatte. Den Tonfall kannte ich nur zur Genüge. Der Mitarbeiter,
Weitere Kostenlose Bücher