Die Stunde Der Jaeger
gibt niemanden. Keine Geschwister. Meine Eltern sind geschieden, sie hat seit Jahren kein Wort mehr mit meinem Vater gewechselt. Ich bin die Einzige, die sich um sie kümmert. Ich habe mich noch nie so einsam
gefühlt.« Sie stand kurz davor zusammenzubrechen. Es überraschte mich, dass sie sich überhaupt so klar ausdrücken konnte.
»Wonach ist dir spontan gewesen? Bevor du angefangen hast, über die Konsequenzen deines Handelns nachzudenken, was wolltest du eigentlich tun?«
»Ich wollte es ihr sagen. Ich meine â alle sagen doch, man soll die Dinge klären, bevor es zu spät ist. Aber sie ist so krank, Ariel! Ihr so was zu erzählen würde nichts klären, es würde sie nur quälen. Es ist leichter, Stillschweigen zu bewahren. Ich möchte versuchen, ihr diese Zeit so angenehm und glücklich wie möglich zu gestalten. Meine Probleme, meine Gefühle â die sind nicht wichtig.«
»Aber das sind sie doch, sonst würdest du mich nicht anrufen.«
»Vermutlich, ja.«
»Es ist löblich«, sagte Ariel, »wie du deine Gefühle um deiner Mutter willen hintanstellen willst. Aber du bist nicht überzeugt, dass es das Richtige ist, nicht wahr?«
»Nein. Nein, ich habe mit Mom immer über alles gesprochen. Und ich werde sie nicht mehr bei mir haben. Damit möchte ich mich nicht auseinandersetzen.« SchlieÃlich versagte ihr die Stimme doch noch. Ich hatte tiefes Mitgefühl mit ihr. Beinahe weinte ich selbst.
Ariel sprach sanft, aber bestimmt. »Trish, wenn du angerufen hast, weil ich dir sagen soll, was du tun sollst, oder weil ich dir die Erlaubnis erteilen soll, das eine zu tun und nicht das andere â das werde ich nicht machen. Es ist eine furchtbare Situation. Ich kann dir nur raten, deinem Herzen zu folgen. Du kennst deine Mom besser als
jeder andere. Du solltest einmal darüber nachdenken, was sie wollen würde.«
Diesmal hatte ich es nicht vorgehabt. Ich war zu müde, um scharfzüngig zu sein. Doch schlieÃlich kramte ich trotzdem mein Handy hervor.
Ben bemerkte es. »Was zum Teufel machst du da?«
»Sch«, zischte ich ihn an.
Nachdem ich mich durch besetzte Leitungen gekämpft hatte, erreichte ich den Pförtner. Ich erklärte ihm den Grund meines Anrufs â dass ich etwas zu Trishs Situation zu sagen hatte. Dann verriet ich ihm tatsächlich meinen Namen. »Kitty.«
Der Typ sagte nichts. Warum sollte er auch? Ich war nicht der einzige Mensch auf der Welt, der Kitty hieÃ. Er hatte keinen Grund zu denken, Ariels Radiorivalin würde in ihrer Sendung anrufen.
Diesmal war ich nicht verärgert, ich war nicht frustriert und schlug verbal um mich. Ich hatte wirklich etwas zu sagen.
Ben sah mich an, ein bisschen, wie er wohl ein Zugwrack im Fernsehen betrachten würde. Ich hatte das Radio leise gestellt, doch er hatte es sich geholt und hielt es sich ans Ohr. Ich ging am Fuà des Bettes auf und ab, ohne auf ihn zu achten.
Trishs Anruf war mittlerweile vorüber. Dann sprach Ariel mit mir. »Hallo. Weshalb hast du mich heute Abend angerufen?«
»Hi. Ich wollte Trish bloà sagen, dass sie es ihrer Mutter erzählen sollte.«
»Warum sagst du das?«
Ich wünschte, ich wäre hier die Verantwortliche. Ich wünschte, Trish hätte in meiner Sendung angerufen, damit ich direkt mit ihr hätte reden können. Damit ich wüsste, dass sie mir zuhörte. Zum ersten Mal seit Wochen wünschte ich mir wirklich, ich würde meine Sendung machen.
Ich sagte: »Weil ich meiner Mutter erzählt habe, dass ich ein Werwolf bin, und es war richtig so. Ich hatte es eigentlich nicht vor. Es ist mir quasi nur so herausgerutscht. Aber als es einmal passiert war, wollte sie wissen, wieso ich es ihr nicht schon früher erzählt hatte. Und sie hatte Recht, das hätte ich tun sollen. Ich habe ihr nicht zugetraut, damit umgehen zu können. Sie war fassungslos, sicher. Aber sie ist immer noch meine Mom. Sie möchte immer noch für mich da sein, und das kann sie nur, wenn sie weiÃ, was in meinem Leben vor sich geht. Auf die lange Sicht hat es bedeutet, dass ich mit den blöden Ausflüchten aufhören konnte, wo ich an Vollmondnächten war.«
»Wie lange ist es her, dass du es ihr gesagt hast?«
Ich musste einen Augenblick nachdenken. »Ungefähr ein Jahr.«
»Und du hast ein gutes Verhältnis zu deiner Mutter?«
»Ja, ich denke
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