Die Stunde Der Jaeger
streckte die Arme durch und versuchte sich zu entspannen. Nach ungefähr zehn Meilen sagte er: »Auf der juristischen Fakultät habe ich mit dem Rauchen angefangen. Es war eine Stütze, eine Möglichkeit durchzukommen. Man hat das Gefühl, den Verstand zu verlieren, also geht man vor die Tür und raucht eine Zigarette. Alles hört für zwei Minuten auf, und wenn man wieder reingeht, fühlt man sich ein klein wenig gelassener. Aber aufhören â das ist echt hart. Denn so sehr man sich auch einredet, dass man die Stütze nicht mehr braucht, überzeugt man doch den eigenen Körper nicht. Es hat zwei Jahre gedauert, bis ich mir das Rauchen abgewöhnt hatte. So fühlt sich das hier an«, sagte er. »Ich möchte mich in einen Wolf verwandeln, wie ich mir damals eine Zigarette anstecken wollte. Es ergibt keinen Sinn.«
»Als würde irgendwas an der ganzen Sache Sinn ergeben«, murmelte ich. »Du musst nicht bis Vollmond warten, um dich zu verwandeln. Das weià deine Wolfhälfte. Sie versucht ständig rauszukommen.«
Ihm war quasi anzusehen, wie seine analytische Seite versuchte, sich einen Reim auf alles zu machen â die Anwaltseite,
die auf den Fall angesetzt war. Er verengte die Augen zu Schlitzen und legte die Stirn nachdenklich in Falten.
»Und wann kommt es nun vor, dass die wölfische Seite eine Stärke ist?«, fragte er schroff.
Ich hätte eine beiÃende Bemerkung machen können, doch unsere Nerven waren ohnehin schon strapaziert genug. Er benötigte eine ernst gemeinte Antwort. »Man ist entschlossen. Manchmal hilft es, wenn man die Welt schwarz-weià sieht und jeder entweder ein Raubtier oder Beute ist. Man lässt sich nicht von Einzelheiten verwirren.«
»Das ist zynisch.«
»Ich weiÃ. Genau das hasse ich daran.«
»WeiÃt du, was das Problem ist? Wir alle sehen diesen Fall â was sie Cormac antun â schwarz-weiÃ. Doch wir beide nehmen Weià als Weià wahr, und Espinoza nimmt Weià als Schwarz wahr. Ergibt das irgendwie Sinn?«
»Und wenn wir alle es als Grau wahrnähmen, könnten wir uns vielleicht auf einen Kompromiss einigen.«
»Ja.« Er trommelte gegen das Lenkrad, während er weiter seinen Gedanken nachhing.
Als wir schlieÃlich die Berge hinter uns lieÃen, fing es an zu schneien.
Der Norden von New Mexico war kahl und windgepeitscht; der Sturm hatte etwas Schnee in der Landschaft verteilt. Pappelbestände am Fluss waren grau und blätterlos. Sämtliche Farben schienen weggespült worden zu sein; eine öde Wüste, die von abgetragenen Klippen und Tafelbergen umsäumt war.
Wir hatten nicht viele Anhaltspunkte. Der Name der Frau, die Vermisstenanzeige. Wir kamen rechtzeitig in Shiprock an, um dem Polizeirevier â Stammesgesetzesvollzug â einen Besuch abzustatten. Shiprock befand sich im Navajo-Reservat. Der Namensvetter der Stadt, ein gezackter vulkanischer Monolith, der sich gute sechshundert Meter über der Wüste erhob, war im Süden zu sehen, eine Art Wegweiser.
Ben redete mit dem diensthabenden Sergeant am Empfang, während ich mich im Hintergrund hielt und neugierig zu ihnen hinüberspähte.
»Ich bin auf der Suche nach Informationen über Miriam Wilson.« Er zeigte ihm ein Foto, das er vom Büro des Coroners bekommen hatte. Es war ein schreckliches, grausiges Bild, denn die Hälfte ihres Gesichts bestand aus breiiger Masse, aber die andere Hälfte lieà dennoch identifizierbare Gesichtszüge erkennen. Sie hatte runde Wangen, die groÃen Augen waren geschlossen. »Vor etwa drei Monaten hat man eine Vermisstenanzeige wegen ihr aufgegeben. Ich weià nicht, ob das Revier des Sheriffs von Huerfano County Sie davon in Kenntnis gesetzt hat, dass sie in Colorado getötet worden ist.«
»Ja, davon haben wir gehört«, sagte der Mann hinter dem Empfangstisch, laut seines Namensschilds handelte es sich um Sergeant Tsosie. Er hatte kurze schwarze Haare, braune Haut, dunkle Augen und ein kantiges Profil.
»Sie wirken nicht sonderlich betroffen.«
»Vermissen wird sie hier keiner.«
»Ist ihre Familie benachrichtigt worden?«, fragte Ben. »Der Coroner hat keine Anweisungen erhalten, was mit der Leiche geschehen soll.«
»Das wird er wohl auch nicht. Niemand wird sich nach ihr erkundigen. Darauf können Sie sich verlassen.«
»Wer hat denn dann die Vermisstenanzeige
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