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Die Stunde der Seherin - Historischer Roman

Die Stunde der Seherin - Historischer Roman

Titel: Die Stunde der Seherin - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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zu retten. Es spielte auch keine Rolle mehr, ob ihr eigenes Leben in Gefahr war. Sie versank in seinem Blick.
    Das Leben dieses Mannes zählte. Sie liebte ihn, und sie würde sterben, wenn er starb.
    »A finibus terrae ad te clamavi, dum anxiaretur cor meum«, nahm sie murmelnd die Worte des Mórmaer auf. » In petram inaccessam mihi deduc me! Quia factus es spes mea, turris fortitudinis a facie inimici. In petram inaccessam mihi deduc me …«
    » In petram inaccessam mihi deduc me «, flüsterte Nial. »Allmächtiger, vergib mir …« Sanft verschloss sie ihm mit der Hand den Mund. Es gab nichts zu vergeben, nichts zu bereuen. Nicht in diesem Dasein. Gott hatte sie einander vor die Füße gelegt, Er würde sie nicht verurteilen. Ihre Finger verabschiedeten sich ganz sachte von seinen Lippen, als sie die Hand wegzog, um sich zu sammeln.
    Die Wärme kam, als sie nach ihr rief. Diesmal war es ganz leicht, so dicht, wie die Stute bei ihr lag. Und Angst, wie vorhin bei den Wölfen, verspürte sie auch nicht mehr. Die Wärme kam aus ihrem Innersten, und sie flog auf den Schwingen des Pferdes durch ihren Körper, bis sie die Fingerspitzen erreicht hatte und ausgesendet werden konnte. Christina rief nach mehr und ließ es fließen, und dann war es stark genug, um Nial zu erreichen und aus ihren gespreizten Fingern durch das blutige Leinen zu dringen. Sie spürte, wie sie losflog, wie die Wärme in ihm ein Echo fand, wie sie dankbar angenommen wurde und wie sie die tiefe Wunde heilend umfing.
    Nial starrte sie an. Sie hatte den Kontakt zum Boden verloren, vielleicht saß sie auch noch da, aber sie konnte Schneematsch und Kälte nicht mehr fühlen. Sie war nur noch, flog mit dem Pferd dahin und sandte alles, was in ihr war, in ihre Hände – für ihn. Furcht stieg in seine Augen, diesmal nicht vor dem Tod, sondern vor ihr. Sie sah seine Furcht und wollte ihm zurufen, dass er ihr vertrauen müsse und wie sehr sie ihn liebe, doch das Fliegen war einsam und stumm und sie konnte ihn nur mit Blicken begleiten. Er stammelte ihren Namen, immer wieder, packte ihre Hände, um sie von seiner Brust wegzuziehen. Er musste sie loslassen, weil sie ihn fast verbrannten …
    Der Blutstrom versiegte. Das Pferd flog davon.
    Christina brach erschöpft auf seiner Brust zusammen. Sein pochendes Herz an ihrem Ohr hielt sie bei den Lebenden, seine Arme ließen sie mit seinem Leib, der Wunde, dem Schmerz, seinem Atem verschmelzen, um alles mit ihr zu teilen und sie nie wieder herzugeben.
    » In petram inaccessam mihi deduc me! Quia factus es spes mea, turris fortitudinis a facie inimici. Inhabitabo in tabernaculo tuo in saecula, protegar in velamento alarum tuarum. «
    Vielleicht hatte Gott selbst Máelsnechtai den ganzen Psalm geschenkt, den er vorher nicht gekannt hatte, denn er ertönte nun aus seinem Mund, ruhig, beschwörend und ungewohnt weich. Der Schotte kniete immer noch reglos auf jener Stelle – und betete. Gott war mit ihnen, das spürte Christina deutlich, als sie wieder klar denken konnte. Und vielleicht hätte sie sich einen Moment früher aus Nials Armen befreien können, doch sie waren der beste Platz, das wusste sie schon lange. Sie stahl sich den Augenblick, goss ihr volles Herz über ihm aus, wusch Tropfen der Sehnsucht über seine Haut.
    Die Stute beendete diese traurige Lust, indem sie aufsprang. Sie schüttelte sich am ganzen Körper, fing vorne am Kopf an und schüttelte sich, bis der ganze schmale Pferdekörper vibrierte. Schweiß flog in tausend glänzenden, salzigen Perlen durch die Luft – jetzt nicht stehen bleiben, weiterlaufen, weiter, weiter …
    Christina verstand. Ihr Geist war auf der Erde angekommen, hier würde ihre weitere Reise nun stattfinden. Sie schob ihren Arm unter Nials Schultern und versuchte ihn aufzurichten.
    »Lass mich liegen«, sagte er mühsam, »lass mich, nimm mein Pferd und sieh zu, dass du …«
    »Du wirst jetzt aufstehen«, unterbrach sie ihn sanft. »Ich will, dass du aufstehst. Du kannst aufstehen. Wir gehen zusammen.« Sie beugte sich über sein Gesicht. »Wir gehen zusammen, Nial.« Er schwieg. Mit der Rechten strich sie ihm zart über die Wange, dann küsste sie ihn auf den Mund. Gott musste Nachsicht haben. Und wenn nicht … Ihr Mund verzog sich lächelnd auf seinen Lippen, dann küsste sie ihn mit Nachdruck und nahm mit klopfendem Herzen seine heftige Erwiderung entgegen. Gott würde Nachsicht mit ihnen beiden haben müssen …
    »Ich wollte nur wissen, wie viel Leben in dir

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