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Die Stunde der Seherin - Historischer Roman

Die Stunde der Seherin - Historischer Roman

Titel: Die Stunde der Seherin - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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nicht. Er würde ihr genauso wenig wie der Fahle anhaben können, auch wenn er seine Finger schon nach ihr ausstreckte und Nieselregen wie ein hauchfeines Netz aus Tropfen über ihr Haar legte, um sie, wenn alles bedeckt war, darin einzuwickeln und mit sich in die Stille des Vergessens zu ziehen …
    Sie kniete sich hin und betete.
    » Subvenite sancti Dei occurrite angeli Domini, suscipientes animam eius, offerentes eam in conspectu altissimi. Requiem aeternam dona ei, Domine: et lux perpetua luceat ei. «
    Der Nebel wallte zurück. Er umfloss ihre schmale Gestalt, erkundete die Kraft, die sie umgab, und befand sie für ausreichend. Er sparte sie aus, und so fand sie sich allein im feuchten Weiß des späten Tages – allein mit sich, ihrem Glauben und der Zuversicht, diese Reise zu einem guten Ende bringen zu können.
    » Assiste parata votis poscentium et reporta nobis optatum effectum «, murmelte sie in den Nebel. Und weil sich das gut anhörte, wiederholte sie es. Und noch einmal. Und wieder, immer leiser, schließlich flüsternd. Und zumindest die Heilige Jungfrau war an diesem grausigen Ort, um ihre Gebete zu erhören und an den Höchsten weiterzuleiten …
    »Du hast sie einfach ziehen lassen«, stellte Lazarus fest und teilte das harte Brot in zwei Stücke. »Was bist du für ein Mann, dass du so eine Frau ziehen lässt?« Sein maskenhaftes Gesicht schimmerte bleich im Schein des Torffeuers, und Nial sah, wie scharf ihn die kleinen Augen des Aussätzigen belauerten. Er nahm das Brotstück entgegen, auch wenn es durch Lazarus’ Hand verunreinigt war. Nichts spielte mehr eine Rolle.
    »Er ist mein Bruder. Er wird ihr kein Leid zufügen.« Seine eigenen Worte versetzten ihm einen Stich. Aber genau so war es ja. Bis Jarrow würde Christina sicher vor ihm sein. Für den Gedanken an das, was danach geschehen würde, fühlte er sich zu schwach …
    »Haha!«, lachte der Aussätzige. »So kann man das auch sehen. Und schließlich bist du ja auch ein Mönch. Als wir sie in deinen Armen gefunden haben, sah das allerdings etwas anders aus, und ich habe …«
    »Halt’s Maul!«, zischte Nial verärgert. »Siehst du das hier?« Er deutete auf den Verband, den Claire ihm angelegt hatte. »Das habe ich meinem Bruder zu verdanken.«
    »Ach. Der böse Bruder. Und ihm überlässt du nun dein Mädchen?« Lazarus’ Spott biss sich in der Wunde fest und rief den Schmerz zurück, den Christina mit ihren Händen vertrieben hatte. Nein – er saß viel tiefer, er verwüstete sein Herz.
    Als der Aussätzige keine Antwort bekam, kroch er ungelenk näher. »Mein Freund – sie hat einem meiner Brüder geholfen, er kann wieder sehen. Claire nennt dein Mädchen ein Zauberweib. Ich nenne sie großartig – wer auch immer sie ist. Sie hat Licht in unsere armselige Hütte getragen und bewiesen, dass Gott uns doch noch nicht verlassen hat. Wenn du sie zurückholen willst, bin ich dabei.« Und er schaffte es tatsächlich, den Teil des Gesichtes, wo früher einmal Augenbrauen gewesen waren, verschwörerisch hochzuziehen. Nial nahm seine verkrüppelte Hand.
    »Gott segne dich für deine Freundschaft, die ich nicht verdiene, Mann«, sagte er leise.
    Lazarus lachte. »Du bist wirklich ein Jammerlappen, Mann. Erinnerst du dich noch, dass du mir etwas versprochen hattest? Dass wir es nicht bereuen werden, euch aufgenommen zu haben? Dein Mädchen hat das Versprechen für dich gehalten. Wenn das kein Grund ist, jetzt aufzubrechen, die Jammerlappen hinter uns zu lassen und sie zurückzuholen …«

DREIZEHNTES KAPITEL
    Und die Sonne ward schwarz wie ein härener Sack,
und der Mond ward wie Blut;
    und die Sterne des Himmels fielen auf die Erde,
    gleichwie ein Feigenbaum seine Feigen abwirft,
    wenn er von großem Wind bewegt wird.
    (Offenbarung des Johannes 6,12-13)
    D as ist Jarrow? Das ist nicht Euer Ernst.« Sie drehte sich um. »Ihr habt mich in die Irre geführt. Ihr habt mich absichtlich in die Irre geführt …« Gegen das Entsetzen, das ihr immer deutlicher den Rücken heraufkroch, war sie machtlos. Wie hatte sie ihm nur vertrauen können! Wie hatte sie ernsthaft glauben können, dass er sie zu einem Kloster führte, das ihn nicht im Geringsten interessierte, genauso wenig, wie ihn das Stundenbuch oder das Schicksal seiner Königin interessierte.
    Das Einzige, was er wollte, war sie, und davon sprach sein Blick nun umso deutlicher.
    »Das ist Jarrow, ich weiß das deshalb so genau, weil ich im letzten Winter selbst das Feuer gelegt habe,

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