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Die Stunde der Seherin - Historischer Roman

Die Stunde der Seherin - Historischer Roman

Titel: Die Stunde der Seherin - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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bewegten sich, irrten umher, suchten nach Leben, wo keines mehr war.
    » Hlæfdige … Chris… tina …«, flüsterte er, dann rann Blut aus seinem Mund, und die Farbe wollte nicht zur Farbe seines Bartes passen. Da schickte der Tod noch mehr Blut aus der Lunge und färbte das schottische Rot einfach nach seinem Geschmack.
    » Hlæfdige …«
    »Ruaidrí, ich …« Unmöglich, die richtigen Worte zu finden. Er starb vor ihren Augen, und sie konnte nur noch eines für ihn tun.
    »Ruaidrí, Ihr habt mir das Leben gerettet … Gott sei Eurer Seele gnädig. Er führe Euch auf sanftem Pfad zum ewigen Leben …« Das war es nicht. Seine Brauen zogen sich in größter Not zusammen, die Augen versanken in grauen Höhlen. Der Tod stand hinter ihm, blies stumm zum großen Marsch. Jeder Atemzug konnte der letzte sein. Dieser oder der nächste, kaum enden wollende. Luft war kostbar, ein Geschenk des Lebens, das er mitnehmen wollte in die ewige Verdammnis, die ihn erwartete … Sie spürte, was er von ihr wollte, was er sich sehnlichst wünschte und doch nicht aussprechen konnte, weil seine Schuld so groß war.
    » Hlæfdige , bitte …«
    »Ruaidrí – ich verzeihe Euch. Ich verzeihe Euch, nehmt meinen Frieden mit Euch …«, stammelte sie und umfasste sein immer grauer werdendes Gesicht mit beiden Händen, um seine brechenden Augen bis zum Schluss zu begleiten, mit ihm die letzten Schritte zu gehen – einen und noch einen, hinüber in den Nebel, dessen Farbe die Augen nun annahmen … Der Tod empfing ihn mit sanften Armen und ohne Schmerz, davor hatte er wohl Angst gehabt. Doch seine Züge glätteten sich, die Falten verschwanden, und der Mund entspannte sich, als er ging. Christinas geflüsterte Gebete nahm er wie einen kostbaren Talisman mit sich …
    Sie konnte nicht weinen. Sie konnte nicht einmal beten. Er war gegangen, und ihre Vergebung war das Gebet für den Mann gewesen. Gott nickte und ließ sie alleine.
    »Ist er tot?«, fragte Máelsnechtai.
    Wieder stützte sich das bluttriefende Schwert neben ihr auf, und diesmal ertrug sie den Anblick nicht.
    »Er ist tot, würdet Ihr bitte Eure Waffe fortnehmen«, murmelte sie. Er packte sie an den Ellbogen und richtete sie auf. Dann ließ er sie los, und das war gut so, denn seine Hände schienen vor Verlangen zu brennen.
    »Wenn er tot ist, reiten wir jetzt weiter, hlæfdige «, sagte er.
    »Eine kleine Rast, hlæfweard «, flüsterte sie. »Lasst ihn uns bestatten. Ich …«
    »Ihr wollt nach Jarrow. Ich bringe Euch jetzt nach Jarrow. Danach gehört Ihr mir«, sagte er kalt. Immerhin steckte er das Schwert in die Scheide. Er war fertig hier, und dass auch dieser Begleiter nicht mehr bei ihm war, schien ihm vollkommen gleichgültig zu sein. Dem einen Sterbenden trat er mit der Stiefelspitze gegen den Kopf. Das Stöhnen verebbte, der Mann lag ruhig. In den Baumwipfeln krächzte der erste Rabe und kündigte seinen Genossen das neue Festmahl an – sobald die Menschen die Lichtung verlassen hatten, würden die schwarzen Schatten ihren Platz einnehmen und sich aufeinander einhackend um die besten Leckerbissen streiten. Ihr Geschrei würde man noch meilenweit hören können. Doch noch herrschte Stille am Ufer.
    Das Grausen steckte in Christinas Brust, mit eisiger Faust hielt es ihren Hals umfasst und erlaubte keinen Atemzug zu viel. Was sagst du nun , höhnte der Fahle, ich sagte dir, du entkommst mir nicht, erinnerst du dich?
    Sie entschloss sich, ihren Weg zu gehen. Mit beiden Händen ergriff sie den Pfeil in Ruaidrís Brust und riss ihn mit einem kräftigen Ruck heraus. Blut lief ihr über die Hände. Sie warf den Pfeil angewidert beiseite.
    »Das ist nicht Euer Ernst«, höhnte der Mórmaer. Sie schwieg. Fasste den rothaarigen Schotten von hinten unter den Armen und schaffte es mit einer Kraft, die nur aus ihrem wachsenden Zorn erwuchs, ihn aus der Wasserlinie herauszuschleifen und in Richtung der Büsche zu ziehen.
    »Wollt Ihr mich lächerlich machen?«, rief Máelsnechtai ihr hinterher.
    Sie drehte sich um. »Dieser Mann war Euch treu ergeben und hat es verdient, dass etwas sein Gesicht bedeckt. Findet Ihr nicht auch?« Er schwieg. Der Ärger darüber verlieh ihr nun Riesenkräfte. Sie fand eine Kuhle unterhalb der Sträucher, wo Ruaidrí seine letzte Ruhestätte haben konnte, und dann begann sie, Steine zusammenzutragen, um ihn damit zu bedecken. Máelsnechtai sah ihr auch dabei schweigend zu. Die Spannung zwischen ihnen vertrieb den Nebel, der sich träge über das Ufer

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