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Die Stunde der Seherin - Historischer Roman

Die Stunde der Seherin - Historischer Roman

Titel: Die Stunde der Seherin - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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zuvorkommend; an der Tafel ließ er den beiden Frauen Plätze in der Nähe des Feuers zuweisen, damit sie nicht froren.
    Doch was sie in der Kirche beobachtet hatte, blieb wie ein Schaudern in ihr zurück. Zum ersten Mal, seit sie denken konnte, gab es etwas, was sie der Schwester nicht sagen konnte. Sie hatte das Begehren des Mannes gespürt, obwohl es gar nicht ihr galt – war es Magga etwa verborgen geblieben? Das mochte sie nicht glauben.
    Margaret war nichts anzumerken. Sie verhielt sich wie immer, war oft in sich gekehrt und verbrachte ihre festen Zeiten in der Kontemplation. Innerlich setzte sie wohl das klösterliche Leben von Wiltham fort. Nachdem ein weiterer Gang in die Kapelle damit geendet hatte, dass sie von einem berittenen Boten in den Schlamm gestoßen worden war, verrichtete sie ihre Gebete meist in einem Winkel der Frauenkammer.
    Wenn in der Halle das Wort an sie gerichtet wurde, reagierte sie aufmerksam und bisweilen so scharfsinnig, dass mancher Schotte, der sie nur necken wollte, schnell verstummte. Edwin von Mercia bewunderte sie zutiefst und ließ ihr als Zeichen seiner Bewunderung nicht nur sein reich verziertes Messer, sondern auch die besten Fleischstücke von seinem Platz bringen.
    »Ihr solltet das lieber den Armen geben, daran würde Gott mehr Wohlgefallen finden«, lächelte sie ihn an, als er ihr das gebratene Herz eines Rehs offerierte. Der Earl von Mercia wurde rot, weil die anderen am Tisch loslachten. Malcolm musterte sie scharf aus seinem breiten Sessel.
    »Ihr würdet eine solche Köstlichkeit den Armen geben, hlæfdige ? Habt Ihr je ein Reh gejagt? Habt Ihr je ein Wildschwein erlegt und Euch dabei in Gefahr gebracht? Gar einen Eurer Männer dabei verloren?«
    »Nein, a rìgh «, antwortete sie mit klarer Stimme und sah ihn über den Tisch an. »Ich habe niemals ein Wildschwein gejagt. Aber ich würde sein köstlich zubereitetes Herz immer wieder den Armen geben, denn Jesus Christus hat gesagt, wenn du Almosen gibst, soll deine rechte Hand nicht wissen, was deine linke Hand tut.«
    Edgars Gesicht verzog sich vor Unbehagen. Verzweifelt versuchte er die Aufmerksamkeit seiner Schwester auf sich zu lenken, um sie zum Schweigen zu bringen, doch es war schon zu spät. Die Stille an der Tafel glich einem tiefen schwarzen Abgrund. Nicht einmal Amlaíb von Scone, der wegen seiner Tapferkeit höchstes Ansehen beim König genoss und selten um einen Spruch verlegen war, fand auf die dreiste Bemerkung eine Antwort. Malcolm rieb sich das bärtige Kinn, wieder und immer wieder. Seine Lippen waren gespitzt, die Augen schmal. Dann rief er einen Diener herbei und wies ihn an, alles Fleisch vom Tisch zu nehmen und den Armen zu geben.
    »Welchen Armen, a rìgh ?«, fragte der Mann verdutzt.
    »Den Armen!«, blaffte Malcolm ihn ungehalten an.
    »Den Armen, natürlich«, beeilte der Mann sich zu versichern.
    Christina rettete sich in heftiges Husten, um nicht loszulachen. Margarets Gesicht blieb ungerührt. Nicht ganz. Ein leises Zucken ging um ihren Mund, und auch ihre Braue bewegte sich ungewöhnlich. Dann spießte sie das gebratene Herz mit Edwins Messer auf und schob es in die Schüssel, die ihr der Diener mit so fassungsloser Miene hinhielt, als könnte er nicht glauben, was mit dem kostbaren Inhalt nun geschehen sollte.
    Niemand wagte sich darüber zu beschweren, dass das restliche Mahl nun nur noch aus zähem Mus und zerkochten Mohrrüben bestand. Malcolm schaufelte es sich in den Mund und verließ dann die Tafel, allerdings nicht ohne vorher einen langen, nachdenklichen Blick auf seinen unbequemen Gast geworfen zu haben. Und nur Christina nahm wahr, dass ihre Schwester wie zum Dank ganz leicht den Kopf neigte.
    Aber vielleicht hatte sie sich diese stumme Zwiesprache auch nur eingebildet … Christina ordnete die Wollfäden, aus denen sie mit Brettchen ein Band weben wollte. Die Wollfäden gerieten immer wieder durcheinander, genau wie ihre Gedanken, nur dass man die Fäden mit dem Messer abschneiden konnte – die Gedanken nicht. Die verwirrten sich weiter, verfilzten, wurden zu hässlichen Knoten … Als ihr das eine Brettchen zwischen den Fingern zerbrach, warf sie alles in die Ecke und knackte missmutig mit den Fingerknöcheln.
    »Christina«, mahnte die Mutter und sah von ihrer Stickarbeit hoch. »Benimm dich gefälligst wie eine Dame. Wenn Mathilda dich so sähe!« Mathilda, die Gattin des neuen Königs von England, wäre in der Tat entsetzt, und nicht nur wegen der knackenden Finger.

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