Die Stunde der Seherin - Historischer Roman
haben uns verlaufen auf dem Weg in die Kapelle.« Christina fühlte Margarets Arm tröstlich um ihre Hüfte gleiten. »Die Zunge Eurer Diener ist uns fremd.«
»Die Zunge … die Kapelle … ähm. Wir haben … wir werden … unsere Zunge …« Malcolm verstummte. Christina wagte einen Blick in sein Gesicht – es war rötlich angelaufen, und er verschlang Margaret förmlich mit Blicken. Sie dagegen schien er völlig vergessen zu haben. »Wir haben … wir … wir, wir werden …«
»Es genügt, wenn Ihr uns die Richtung zeigt, a rìgh «, lächelte sie freundlich. Er starrte sie an. Dann nickte er. Erst ganz leicht, dann immer heftiger. Und zum größten Erstaunen der Männer, die sich offenbar auf mehr Späße mit den beiden Damen gefasst gemacht hatten, verließ er die Gruppe und geleitete die beiden Damen zum Hallentor, von dort aus über den Hof, wo gerade unter Getöse ein sich wehrendes Pferd beschlagen wurde, an den Wachen vorbei und hinunter zur hölzernen Palisade, die die Festung Edinburgh umgab.
» A rìgh , ich bat Euch um den Weg zur Kapelle.« Margaret blieb kopfschüttelnd stehen.
»Vielleicht hat er uns nicht verstanden?«, flüsterte Christina. Ihr war kalt, sie trug ja keinen Mantel – musste man hier etwa durch den Regen laufen für das tägliche Gebet?
»Capella?«, versuchte Margaret es auf Lateinisch. »Chapelle?«
Malcolm drehte sich um. Betroffenheit breitete sich auf seinen bärtigen Zügen aus, dann schüttelte er den Kopf. » Hlæfdige … ich … wir … die Burg hat keine Kapelle.« Er hielt inne, offenbar froh, einen ganzen Satz vollendet zu haben, und das, obwohl er Margaret angeschaut hatte. Vorsichtshalber fasste er nach dem Schwert. Das schien auch diesmal zu helfen. » Hlæfdige … es gibt eine Kapelle am Fuß des Berges, wo ich Euch … Euch … Euch hinbegleiten werde. Wenn Ihr erlaubt. Wenn Ihr … wenn Ihr gestattet …«
»Am Fuß des Berges! Wo soll das sein? Magga – Katalin muss mitkommen«, raunte Christina hastig. »Nachher ist das eine Falle!«
»Unsinn. Er ist der König, das ist doch keine Falle«, flüsterte Margaret zurück. »Was soll schon passieren?« Und zu Christinas größtem Entsetzen neigte sie den Kopf und trat an Malcolms Seite. Das war auch gut so, denn der Weg aus der Festung heraus stellte sich als schlammig und rutschig heraus, und sie brauchte seinen Arm, als sie beinah in einem Schlammloch versank. Malcolm murmelte irgendetwas, hob sie dann mühelos aus dem Loch heraus und führte sie an der Palisade entlang, wo ein Trampelpfad matschfreies Gehen ermöglichte. Christina huschte hinter ihnen her, fassungslos über ihre friedliche Schwester und den handzahmen König. Was war in sie gefahren?
Immer wieder musste sie Entgegenkommenden ausweichen, die dem König zwar Platz gemacht hatten, ihr jedoch nicht. Sie drückte sich gegen die Holzpalisade und nutzte die Momente, den Blick schweifen zu lassen. Edinburgh schien in der Tat nur ein kleiner Marktflecken zu sein, verglichen mit Orten wie London oder auch York, wo sie die letzten Monate verbracht hatten und wo in weitläufigen Gebäuden vornehm gekleidete Männer von Reichtum und Macht gekündet hatten. Hier war das anders. Zwar war hier ebenfalls die Macht zu Hause, aber hier gingen ausschließlich Krieger ein und aus. Die wenigsten wirkten vertrauenerweckend. Keiner von ihnen legte jemals seine Waffen ab. An den Anblick von Waffen konnte sie sich nicht gewöhnen. Sie rieb sich fröstelnd die Hände.
Der graue schottische Himmel goss unermüdlich Regen über den Burghügel, am Horizont erahnte man schemenhaft Berge, und davor lag dieses düstere, hungrige Wasser, über das schneidend kalter Meereswind heranfegte, um nach Opfern zu suchen … Sie mussten den Trampelpfad verlassen, hinaus aus dem Schutz der Palisade in diesen Wind. Holztritte führten den Berg hinab, die so glattgetreten waren, dass ein falscher Schritt einen Sturz in den Schlamm bedeuten konnte. Christina kämpfte um ihr Gleichgewicht, während Margaret den Arm des Königs nutzte und sich dabei vielleicht ein wenig zu sehr auf ihn stützte. Das sah ihr gar nicht ähnlich. Noch nie hatte Magga sich von Galanterie ködern lassen! Warum stimmte sie das missmutig? Zunehmend verärgert folgte sie den beiden.
Die Kapelle war so klein und unscheinbar, dass Christina auf der Suche nach einem Dach über dem Kopf beinahe daran vorbeigelaufen wäre. Ihr wollener Schal und das Kleid darunter waren längst durchnässt, wenn sie an das
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