Die Stunde der Seherin - Historischer Roman
tun – es ist in diesem Buch. Und sie fürchtet sich davor. Nicht vor Euch, a rìgh . Ich liebe meine Schwester, und ich spreche die Wahrheit. Lasst ab von Margaret, a rìgh .« Und statt ihr Haupt zu beugen, wie es sich vor einem König geziemt hätte, reckte sie sich noch ein wenig mehr und schaute ihm geradewegs in die Augen.
Er war sprachlos. Kam einen Schritt auf sie zu und noch einen … Wenn er sie schlagen, töten, vertreiben wollte, dann wäre nun der Zeitpunkt gekommen. Er hätte nicht einmal so unrecht gehabt, weil ihr Benehmen mehr als dreist war. Doch er kam nur auf sie zu, sah auf sie nieder, studierte ihr Gesicht. Lange. Ohne ein Wort wandte er sich dann ab und kniete neben Margaret nieder. Die legte ganz langsam ihre Hand auf seinen Arm. Seine Stimme klang aufgeregt, als er endlich zu sprechen anhub – unter Stottern wie jedes Mal, wenn sie ihn völlig durcheinanderbrachte.
»Ich … Liebste. Das Buch? Margaret. Diese … diese Frau behauptet, das … das … das Buch stört dich? Diese Frau … ich … diese … ich zerreiße es … ich verbrenne es … ich lasse es von wilden Hunden in Stücke reißen und die Reste auf einem Scheiterhaufen verbrennen, wenn du das willst, Liebste!« Er redete sich in Fahrt. »Ich zerreiße es, bekämpfe es wie einen Löwen für dich! Wenn es nur das Buch ist, sollst du alles haben … ein neues Buch, so viele du willst! Zum Teufel mit den Büchern, ich schenke dir eine eigene Kirche, mit hundert Priestern, die dir aus hundert Büchern vorlesen …«
Da lächelte sie gerührt, strich ihm mit der Hand über die hochrote Wange – schwieg aber.
» A rìgh .« Fothad war von Christinas Mut angesteckt worden und kam näher. » A rìgh , man kann einen Fluch nicht verbrennen – er ist dann immer noch da, a rìgh «, gab er zu bedenken.
»Unsinn, wenn das Buch weg ist, ist alles weg. Der Fluch – alles. Ich schenke ihr einfach ein neues Buch.« Malcolm richtete sich auf, begeistert von seiner Idee. »Ein wirklich prächtiges. Nicht so eines. Eines, das so groß ist, dass es auf dem Tisch liegen muss. Liebste …« Ratlos schaute er auf seine Frau, die sich wieder in Christinas Schoß drückte.
»Es ist in ihrem Kopf, a rìgh «, erklärte Christina. »Ihr könnt es dort nicht wegbrennen. Ihr könnt es nur dorthin zurückbringen, wo Ihr es hergeholt habt. Und dort um Rat fragen.«
Sie erschrak selbst vor ihren Worten – aber genau das war der Weg.
Er starrte sie an. »Was? Zurückbringen? Mädchen, Ihr seid närrisch. Woher soll ich denn noch wissen, wo das Buch herkommt? Zum Teufel, wir sind doch in mehr als einer Kirche gewesen …«
Der Bischof lachte spöttisch auf, was ihn zu einem anderen Zeitpunkt den Kopf hätte kosten können. Doch Malcolm achtete dieses Mal nicht auf ihn, denn er marschierte wieder im Kreis, grübelte vielleicht doch darüber nach, wo sie das Buch geraubt haben konnten.
»Ich weiß, wo das Buch herkommt«, meldete sich da eine Stimme aus der dunklen Ecke. » A rìgh – ich weiß es.«
Malcolm sah sich wild um. Er hasste Widerspruch, dummes Geschwätz und wenn ihn jemand an Dinge erinnerte, das war ihm deutlich anzumerken. Noch mehr jedoch hasste er Besserwisserei. »Wer hat hier mal wieder ein besseres Gedächtnis als ich? Tritt hervor! Was? Wo? Du! Schwachkopf, hast du nicht lange genug auf dem Turm gesessen?«
Sein leuchtend roter Bart verriet Ruaidrí Mac Fergus, den jungen Schotten, der im Turm von Edinburgh drei Tage lang nackt gefroren hatte und dem sie am Strand das Leben gerettet hatte. Immer noch folgte er ihr wie ein Schatten.
»Ich wollte nur sagen«, stotterte er und trat einen weiteren Schritt vor. »Ich … das … das Buch ist aus Jarrow, a rìgh . Ihr nahmt es aus jener zerfallenen Abtei am Tyne, als wir … als wir …«
»Als Ihr Northumbria vor zwei Wintern verwüstet habt, a rìgh .« Fothad wurde wieder mutiger, nun, da der kleine Schotte die Kohlen aus dem Feuer geholt hatte. »Euer Heer zog nach Süden, und auf dem Rückweg nahmt Ihr den Küstenweg und fielt über die Abtei her.« Besorgt betrachteten beide das Gesicht des Königs. Doch der dachte nur nach, statt sich weiter aufzuregen.
»Ich muss pinkeln«, sagte er schließlich und beendete die Auseinandersetzung auf sehr profane Weise. Christina war froh, dass er das nicht in der Kirche erledigte.
Es war gut, dass der König gegangen war. Alle Anwesenden atmeten auf, die unerträgliche Spannung wich aus dem düsteren Raum. Margaret hatte sich vor den
Weitere Kostenlose Bücher