Die Stunde der Seherin - Historischer Roman
damit zog er sein Schwert und schwang es über dem Kopf. Ein vielstimmiger Schrei ließ die Kirche erzittern, Schemel stürzten um, Menschen rannten panisch umher. » A rìgh! « Kerzen verloschen.
Christina konnte der Klinge so gerade eben noch ausweichen, weil sie sich geistesgegenwärtig zur Seite fallen ließ – da sauste das Schwert auch schon nieder und hinein in die sanfte mittige Wölbung der braun schimmernden Seiten …
Dort blieb sie stecken. Knurrend hob der König das aufgespießte Buch, schüttelte es von der Klinge ab. »Ich zeige euch, was man mit so einem Buch macht!« Es fiel zu Boden, breitete seine Seiten aus – vollkommen unversehrt. Fassungslos blieb das Schwert in der Luft hängen. Eisig wehte ein modriger Atem an ihr vorbei. Der Fahle war hier – er wartete.
Christinas Herz klopfte wie wild. Das Buch wehrte sich, das spürte sie deutlich. Es fauchte leise: Rühr mich nicht an , es zog sich zusammen wie ein böses Insekt, um den Respektlosen anzuspringen und ihm die höhnischen Züge zu zerkratzen, um ihm zu zeigen, was er war … ein Nichts.
Malcolm schlug erneut zu, er war kein Mann von Furcht, für ihn war ein Gebetbuch nur ein verdammtes Buch. Er warf seinen Zorn dem Altar entgegen, schmetterte ihn durch das Kirchenschiff, dass das Echo in den Ohren schmerzte. Diesmal nahm er zwei Schritte Anlauf und schwang die Waffe zu einem furchtbaren Schlag, der jedem Menschen den Kopf von den Schultern gehauen hätte. Wieder drang die Klinge tief in das Buch – wieder blieb sie dort stecken. Jedermann hatte sich in Sicherheit gebracht – vor seiner Wut, vor seiner Waffe. Selbst das Geschrei war verstummt.
Christina sah, wie sich Rauchwolken zu kräuseln begannen – oder versuchte der Weihrauch gar zu helfen? Sie brauchte jetzt alle Kraft, sich gegen das Böse zu wehren, das an den Seiten der Klinge hochstieg und nach ihnen allen fingerte – merkten sie das denn nicht? Margaret fiel als Erste um. Sie sank lautlos auf den Boden, und niemand kam ihr zu Hilfe. Alle Blicke waren auf den König gerichtet, wie er das Schwert wutschnaubend mitsamt dem Buch gegen die Wand schleuderte. Das Buch riss ein Leintuch mit herab und fiel zu Boden – unversehrt. Christina hörte, wie beide Kontrahenten schnauften – nein, das träumte sie doch, ein Buch war ein Buch und kein Gegner!
»Dann soll es brennen, wie man alles Böse verbrennt!«, schrie er. »Gleich morgen früh soll es brennen, lasst Holz aufhäufen, ich verbrenne es im Hof, dass alle es sehen können, und verstreue seine Asche in die Schlucht!«
»Ihr könnt kein Gebetbuch verbrennen, a rìgh .« Margaret war aufgestanden. »Ihr habt es geraubt und mir geschenkt. Hört mich an, a rìgh .« Sie trat auf ihn zu, und er ließ die Arme sinken, weil er hilflos war, wenn sie ihn nur ansah. »Ich werde Euch erst beiwohnen, wenn der Fluch von Eurem Geschenk genommen wurde«, sagte sie mit fester Stimme. Bei diesen Worten schien sie zu wachsen, zu leuchten – Gott war mit ihr, beschützte sie vor dem Zorn des Barbaren. Christina war sich dennoch nicht mehr sicher, was in dieser Kirche noch wirklich geschah und was ihrer Einbildung entstammte …
Malcolm stand vor seiner Frau, das Schwert von sich gespreizt. Er hatte sich schnell wieder gefangen, ihre Macht über ihn wich erneut dem Zorn. Ungeduldig schüttelte er die Waffe.
»Es wird brennen, Margaret«, sagte er mit leiser, drohender Stimme. »Und ich schwöre beim Schwert meines Vaters – Ihr sollt auch brennen, wenn Ihr Euch mir weiter verweigert. Ihr macht mich vor meinem ganzen Hof lächerlich, am Tag meiner Hochzeit – das lasse ich mir nicht bieten.«
»Ich kann Euch nicht daran hindern, solche Sünde auf Euch zu laden, a rìgh .« Margaret war noch weiter auf ihn zugegangen. Vielleicht wollte sie verhindern, dass die Männer seines Hofstaates mitbekamen, worüber der König sich hier stritt. Vielleicht wusste sie auch, welche Wirkung sie auf ihn ausübte, denn er ließ das Schwert nun endgültig sinken, und sein Atem ging rascher. Er begehrt sie, und das kann sie retten, schoss es Christina durch den Kopf. Sie kauerte sich neben den Hocker, atemlos und voller Angst um ihre mutige Schwester, die nun ganz dicht vor dem König stand.
» A rìgh , mir steht nicht der Sinn danach, Euch zu demütigen. Ich habe Euch vor Gott dem Allmächtigen meine Treue und Liebe geschworen, und damit ist es mir ernst. Malcolm, ich will Euch lieben und ehren mit aller Kraft, die Gott mir gibt – und der
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