Die Stunde der Seherin - Historischer Roman
Allmächtige weiß um meine Liebe zu Euch. Doch ich flehe Euch an: Prüft meine Liebe nicht an diesem Geschenk.« Sie fiel vor ihm auf die Knie und hob seinen Hemdsaum an die Lippen.
Für einen langen Moment war es so still in der Kirche, dass man eine Maus hätte niesen hören können. Malcolm starrte sie fassungslos an. Das Schwert fiel ihm aus der Hand. In seinen Augen glitzerten Tränen, als er sie aufhob und wie einen kostbaren Schatz an seine Brust drückte. Ihr Schluchzen war das Einzige, was man hören konnte. Dann befreite sie sich aus seiner Umarmung. »Malcolm.« Sie holte tief Luft. »Ich will Euer Weib sein und Euch mit Freuden beiwohnen – wenn das Geschenk, das Ihr mir gabt, gereinigt ist.« Ihre klare Stimme klang durch das Gotteshaus. »Solange will ich hierbleiben und beten.«
Wieder starrte er sie an. Christina durchfuhr heiße Angst um ihre Schwester. Sie sah, wie seine Finger zuckten, nur ein Atemzug trennte sie von Margarets Hals und ihrem Tod. Ihr Leben hing an einem seidenen Faden. Nur ein falsches Wort, und er würde reißen.
Nichts geschah. Dann hob er sein Schwert auf und schob es mit viel Nachdruck in die Scheide. Er drehte sich um und verließ mit mächtigen Schritten die Kathedrale. Es dauerte lange, bis seine Schritte endlich verklungen waren.
Margarets Mund zuckte. Sie schlug die Augen nieder, als überlegte sie, ob es ein Sieg war, den sie errungen hatte, oder nur eine Atempause. Hinter ihnen begannen die Männer zu tuscheln. Sie wagten sich aus den Ecken hervor, man hörte den betrunkenen Edgar von der Züchtigung der Weiber lallen und dass sie schon noch sehen werde. Andere lachten, die meisten waren unsicher, was sie von der Sache halten sollten. Wenn sie die Geschichte an die Feuer trugen, wäre der Ruf des Schottenkönigs ruiniert.
Fothad reagierte blitzschnell. Er fuhr herum und hob die Arme, dass die bischöfliche Kukulle emporflog.
»Kniet nieder!«, rief er, »kniet nieder und betet mit mir um Gnade und Erleuchtung. Zeigt euch demütig vor dem Herrn!« Zögernd leisteten sie seiner Aufforderung Folge. Und dann verschloss er ihre Münder: »Ich erlege euch Schweigen auf über das, was ihr hier erlebt habt. Schweigt demütig und betet für euren König!« Wie gebannt hingen sie an seiner Stimme, während der Weihrauch über ihre Häupter strich und sie im Gebet vereinigte …
Christina kniete neben ihrer Schwester. »Und jetzt?«, fragte sie aufgeregt. »Was jetzt?«
Ihr ruhiger Blick streifte sie. Margaret hatte ihren Frieden mit Malcolm und der ganzen Angelegenheit gemacht. »Gott wird mir helfen, Stina. Er wird dem König sagen …«
»Ich tu’s!«, rief Christina. »Ich tu’s! Ich bring das Buch nach Jarrow – ich tu’s!« Und sie kroch auf den Knien vorwärts zu der Stelle, wo das Stundenbuch lag, nahm allen Mut zusammen und wickelte es in das Leintuch, das Malcolms Schwert mit von der Wand gerissen hatte.
»Ich bring es nach Jarrow, und alles wird gut, Magga, hab keine Angst!« Sie sprang auf die Füße, und bevor jemand sie noch aufhalten konnte, lief sie los, das schwere Buch unter den Arm geklemmt, vorbei an Fothad, an Edgar, an seinen gaffenden Anhängern und allen Neugierigen, die sich noch in der Kathedrale aufhielten, vorbei zum Ausgang.
»Christina!«, gellte ihr Name durch die Kirche, dann fiel die Tür hinter ihr zu.
Einer verfolgte sie. Einer hatte es gewagt, sich dem heiligen Bann des Bischofs zu entziehen, hatte das Gebet verlassen und war ihr gefolgt. Das Stimmengewirr in der Kirche wurde wieder laut, als jemand das Portal öffnete. »Christina! Seid vernünftig!« Die Stimme überschlug sich. »Christina! Haltet an! Ich sehe Euch! Wartet auf mich!« Die farbenfrohen Kleider des Mórmaer von Moray strahlten in der Dunkelheit, und seine Schritte klangen schwer auf den Stufen der Kirche.
Sie verfluchte ihr helles Kleid, welches in der Dunkelheit sicher wie eine Laterne leuchtete, und schlug einen Haken um die Kirche herum. Mit einem Krachen fiel das Portal erneut ins Schloss, die aufgeregten Stimmen wurden endgültig weggeschlossen.
»Bleibt stehen, Christina!« Máelsnechtai war immer noch da. Er musste sie trotz der Dunkelheit gesehen haben! Sie wusste, dass man die Kirche umrunden konnte – wenn sie ihm hier entkam, würde er vielleicht umdrehen und aufgeben. Mit der Hand fuhr sie an der Mauer entlang, folgte eilig vorwärtshastend einfach ihrer Hand, die ihr den Weg an dem Gemäuer entlangwies, fort vom Mórmaer, dessen Zudringlichkeit
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