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Die Stunde der Seherin - Historischer Roman

Die Stunde der Seherin - Historischer Roman

Titel: Die Stunde der Seherin - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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Dermot, das Boot ist so schwer …« Verflucht schwer – viel schwerer als sonst, hatte er etwa Felsbrocken geladen?
    »Ich muss was erledigen, Mönch, ich muss …« Das Boot knirschte auf Sand, zumindest den letzten Ruck hatte Dermot selbst gezogen. So faul kannte Nial ihn gar nicht. Irgendetwas stimmte da nicht. Sein Herz begann zu klopfen, als Vorahnungen von ihm Besitz ergriffen. Nichts Konkretes. Nur eine vage, dumpfe Ahnung …
    »Dermot?« Er ließ nicht locker. »Was redest du da? Du hattest noch nie was in der Nacht zu erledigen.«
    »Haltet Euch da raus«, blaffte Dermot. Eilig lief er um das Boot herum, zurück zum Wasser, und Nial fragte sich, ob der Fährmann am Ende den Verstand verloren hatte. Doch der Mond verriet ihm geschwätzig, dass Dermot nur ein Bündel aus dem Boot holte – ein Bündel, dessen Ecke verräterisch golden unter dem Leinen hervorschimmerte – golden?
    »Haltet ihn fest! Er ist ein Dieb – haltet ihn!«, schrie da eine Stimme aus dem Wasser – und ihn traf fast der Schlag! Eine Frauenstimme! Noch bevor er sich bewegen konnte, hatte Dermot bereits den hölzernen Riemen aus der Halterung gerissen und drosch damit auf die Wasseroberfläche ein, von wo die Stimme hergekommen war. Man hörte Keuchen und das Klatschen nasser Kleider im Schlick – Geräusche von einem Menschen, der verzweifelt zu fliehen versucht.
    »Was tust du da?«, brüllte Nial jetzt voll Entsetzen, als der Fährmann wie von Sinnen mit dem Riemen auf die Wasseroberfläche einhackte und das Schreien nach einem dumpfen Schlag erstarb.
    Die Faust in ihrem Nacken packte hart zu. Die Schlinge riss am Handgelenk, jemand brüllte, dann flog sie in hohem Bogen aus dem Wasser und über die Reling, wo sie keuchend liegen blieb, während hinter ihr im Wasser zwei Männer miteinander rangen. Ihre Gestalten ragten gespenstisch in den Nachthimmel, eine Fackel war ins Boot gefallen und fand Gefallen an den zusammengefalteten Leinwänden. Genüsslich fraß sie sich durch den Stoff, schwarzer Rauch blakte in Christinas Gesicht, Haare brannten ja so gut …
    Wimmernd versuchte sie sich von dem Feuer zu entfernen, was schwierig war, weil sie wie ein Sack über der Reling hing. Die Stimmen der Männer hinter ihr drangen ganz langsam durch das Rauschen in ihren Ohren.
    »Christina …« Er nannte ihren Namen nur ein Mal, mit bebender, heiserer Stimme.
    Dann fühlte sie seine Arme, seinen Körper, verschwunden war der Schmerz an den Rippen. Sie hörte ein leises, hobelndes Geräusch. Er durchtrennte das Seil, welches sie immer noch ans Boot gefesselt hielt, und endlich war sie frei. Seine Kutte roch nach Holzkohle. Sie steckte ihre Nase tief in die Falten, um mehr davon einzuatmen, dahinter würde sie ihn finden … Der Husten war vergangen. Das eiskalte Wasser umspielte ihre Hüften – er hielt sie einfach nur fest, mit Armen, die sie so umschlangen, dass sie meinte, zwischen seinen Schultern in ihn einzutauchen.
    Hinter ihnen fing das Boot endgültig Feuer. Die Fackel hatte wohl Werg unter den Leinwänden gefunden und konnte ihren Hunger nun daran stillen. Hoch schoss die Flamme aus dem Segelhaufen und ließ die Schneeflocken, die der Nachthimmel zur Erde schickte, aufblitzen wie kleine Irrlichter.
    »Komm weg hier«, flüsterte Nial und trug sie die letzten Schritte ans Ufer hoch. Und sowie ihre Füße den Boden berührten, kam auch die Erinnerung zurück.
    »Das Buch, das Buch …«, keuchte sie, »er hat das Buch gestohlen, das Buch …«, sie krallte sich an seinen Schultern fest, »das Buch!«
    »Schsch …«, machte er. Der Sand unter ihren nackten Füßen war eiskalt, dann fühlte sie Stoff unter der Fußsohle. »Er liegt hier, mitsamt seinem Bündel. Schsch …« Seine Arme waren so groß und rund und vollkommen, dass sie aufhörte zu atmen – alles war gut, sie war zu Hause. Angekommen.
    Lange standen sie so, eng umschlungen, stumm, still. Selbst der Wind schwieg und sorgte dafür, dass der Schnee sie nicht durchnässte, wob stattdessen ein zartes Netz aus schimmernden Flocken über ihre Köpfe.
    »Was machst du in diesem Boot?«, fragte er irgendwann leise, ohne sie loszulassen oder irgendetwas an seiner besitzergreifenden Haltung zu ändern. Davor hatte sie plötzlich Angst, alles war doch gut so, gut so, perfekt …
    »Was machst du in diesem Boot …?« Sie konnte nicht reden, sie wollte nicht …
    »Komm«, sagte er, als würde er verstehen, was sie so stumm machte. Und wie schon einmal hob er sie auf die Arme,

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