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Die Stunde der Seherin - Historischer Roman

Die Stunde der Seherin - Historischer Roman

Titel: Die Stunde der Seherin - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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sie wiedergefunden zu haben, schon wieder an diesem Fluss, schon wieder aus größter Not gerettet – erlaubte Gott sich denn einen bösen Scherz mit ihm? All die langen Wochen hatte er sich verboten, an sie zu denken, hatte sich kasteit, gefastet und Buße getan und sie sich damit doch nicht aus dem Kopf reißen können. Bei Nacht war sie in seinen Träumen zu ihm gekommen, hatte ihn mit ihrer zarten Lieblichkeit so gepeinigt, dass er ins kalte Wasser hatte gehen müssen, um Ruhe zu finden …
    Und nun lag sie auf seinem Lager! Er barg den Kopf zwischen seinen Händen, als er daran dachte, mit welchem Schmerz er sie vorhin ausgezogen und trocken gerieben hatte – und schaufelte dann das Grab für den Fährmann ganz alleine und tiefer als nötig in den Sand, um seine Sinne zum Schweigen zu bringen. Alles umsonst, wie er auf dem Rückweg zu den Feuern feststellte, wo sie lag und auf ihn wartete. Noch niemals hatte eine Frau so vollständig Besitz von seinem Herzen ergriffen!
    Die Frauen hatten alles, was sie an Decken und Fellen finden konnten, zusammengerafft und um ihren schmalen Körper herumgestopft. Ein wenig schämte er sich, vor ihr seine nasse Kutte auszuziehen, doch dann ließ er es einfach zu, dass ihr Blick ihn erkundete – es war ohnehin nichts mehr so, wie es sich gehörte. Er wusste, dass sie über seinen sehnigen Körper staunte, der der eines Edelmannes war und nicht eines Mönchs. Vielleicht würde eines Tages die Stunde kommen, in der er ihr erzählte, warum er sich den culdees angeschlossen hatte …
    Niemand sagte etwas, als er sich wieder zu ihr kauerte, weil er nicht ohne sie sein mochte. Die Pilger verkrochen sich in ihre Zelte, die nun natürlich Augen hatten aber bald ermüden würden. Ein Kind weinte sich irgendwo in den Schlaf, dann legten sich auch die mageren, stinkenden Hunde ab, denn nun würden keine Essensreste mehr zu Boden fallen. Und endlich herrschte Ruhe im Schutz der rauen Felsen. Sie gaben sich die Hände und verabredeten sich zu wachsen, stark zu werden, um wenigstens für diese Nacht alle Unbill und alle bösen Geister von den Erschöpften fernzuhalten und ihnen bis zum Morgengrauen Ruhe zu schenken. Ihre steinernen Hände überzeugten sogar den Wind, der jeden weiteren Versuch unterließ, zwischen ihnen hindurchzufahren. Als wüsste er, dass er damit das kleine Feuer zum Verlöschen brächte und Nial nur noch näher zu dieser Frau heranrücken würde, was sich nicht schickte, aber … Der Wind hielt inne, lauschte.
    »Christina.« Nial kümmerte sich nicht um den Wind und die Felsen und um die Augen in den Zelten sowieso nicht. Er tat, wonach er sich die ganze Zeit schon sehnte: Er zog sie mitsamt ihren Decken vom Lager in die Arme, und er tat es so, dass die Decken Haut freigaben, die er berühren konnte.
    Sein Herz setzte für einen Moment aus, als ihr Gesicht so nah war, dass er ihren Atem wie das Streicheln eines Birkenblattes auf seinem Gesicht spürte – hinauf zu den Brauen, hinab zum Mund –, er kämpfte dagegen an, sie zu küssen, er wusste doch, wie es sich anfühlte und was unweigerlich daraus entstehen würde. Sie hob den Kopf nur ein wenig, und sein Atem stockte. Das wilde Tier der Lust sprang triumphierend durch den schmalen Spalt, der sie voneinander trennte. Nial drängte es zurück. Sehr sanft strich er ihr mit dem Finger über den Mund, hin und her, dann schmiegte er seine Hand an ihr Gesicht, als sei sie genau dafür geschaffen worden. Das war sie, und sie suchte sich ihren Weg hinab an den schlanken Hals, überwand die unverhüllte Schulter, suchte nach mehr …
    »Schsch …«, beruhigte er das Tier, eher noch sich selbst. Christina legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen. Sie gehörte ihm. Und er schämte sich dafür.
    »Christina.« Er nahm seine Hand weg und versuchte, gegen die Flammen anzureden. Sein glühender Blick war ein Spiegel des niedergebrannten Feuers vor ihnen, doch die Flamme in ihm wurde von etwas anderem genährt. »Christina, du musst mir sagen, warum du hier bist. Ich …« Er zögerte. »Ich habe den Fährmann getötet, und ich muss wissen, warum.« Er würde jeden für sie töten, schließlich hatte er das gelernt. Doch er wollte die Geschichte aus ihrem Mund hören, das würde verstehen helfen – und das Tier im Zaum halten.
    Sie hob den Kopf, und er erkannte, dass sie ihm den Totschlag nicht zugetraut hatte und nun entsetzt war, dass er einen begangen hatte. Dennoch … Langsam zog sie den nackten Arm aus den

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