Die Stunde der Seherin - Historischer Roman
diesem Mann nicht in die Hände fallen wollen …«, flüsterte da eine Stimme hinter ihr, und eine harte Hand packte sie an der Schulter. »Kommt, folgt mir, kriecht auf den Knien, kommt …«
Christina konnte sich gar nicht gegen die Frauenhand zur Wehr setzen. Sie schaffte es gerade noch, ihr Bündel mit dem Buch an sich zu reißen und es im Sand hinter sich herzuziehen, während verängstigte Menschen über sie sprangen und schreiend vor der wütenden Hochlandklinge und dem mitgebrachten Feuer flüchteten.
»Ich finde Euch, versucht gar nicht erst, mir zu entkommen – ich finde Euch!«, schrie Máelsnechtai immer aufgebrachter, weil er sie offenbar doch nicht fand. Ruaidrís Stimme ging in dem Lärm unter. Ob er ihn im Gemetzel gegen die Unschuldigen unterstützte, war nicht auszumachen. Aber er hatte ihn hierher gerudert – und er hatte sie tatsächlich an den Mórmaer verraten!
»Welche Geschäfte haben dich hierher gebracht?«, donnerte da eine Stimme von den Felsen herab. »Welche wichtigen Geschäfte lassen dich die Zelte von unschuldigen Pilgern zerstören und ihr Leben in Gefahr bringen? Welche Geschäfte können so wichtig sein …?«
»Der Nial.« Ein Lachen – dann hielt die Klinge inne. »Der gute Nial. Beschützer der Armen, Speichellecker des Herrn, Almosensammler, Weiberverschlinger – erbärmlicher Nial. Nett, dass wir uns mal wiedertreffen, Brüderchen!«
Die Frau zog Christina zwischen zwei Felsen. »Wir müssen weg von hier, jetzt ist die Gelegenheit gut, hlæfdige …« Dennoch hielten sie inne, weil die beiden Laternenträger ebenfalls schwiegen.
»Du wagst es, mit einer Waffe zu mir zu kommen, Bruder. Du wagst es, vor meinen Augen unschuldige Menschen anzugreifen. Du schämst dich nicht, einen Mann Gottes herauszufordern!«
Der Mórmaer lachte wild. »Ach, Nial, du kleiner Mann Gottes, du dickhosiger Lügenmönch. Du versteckst ein Weib, das ich haben will. Ich habe es bis hierher verfolgt – es gehört mir. Es ist, wie es immer zwischen uns war: Du hast dir einfach genommen, was ich begehre – gib’s her.«
Nial sprang von den Felsen herunter. Seine Laterne fiel in den Sand, das Letzte, was sie noch zeigte, war, dass er in der Rechten einen langen Stab trug.
»Ich verstecke niemanden. Wer sich vor dir verbergen muss, wird seine Gründe haben und bekommt meine Unterstützung.«
»Gib sie einfach heraus, dann kannst du dich deinen Weibern wieder widmen. Jeder weiß, dass du ihre Lager wärmst, mach doch, was du willst – ich will ja nur das eine Weib. Die anderen kannst du alle für dich behalten.« Wieder lachte er.
Nial griff ihn an, ohne ein weiteres Wort. Es gab keinen Mönch mehr am Ufer des Forth. Mit der langen Stange drosch er auf ihn ein, hieb von rechts und links gegen das Schwert und seinen Träger, dass dieser kaum zur Besinnung kam, und die Wucht seiner Schläge trieb ihn rückwärts auf das Wasser zu.
»Habe ich den Nagel auf den Kopf getroffen, Brüderchen?«, lachte Máelsnechtai keuchend und fasste das Schwert mit beiden Händen, um die Stange besser abwehren zu können. »Du vögelst dich durch die Pilgerbetten und spielst den heiligen Mann, und nun versteckst du sogar eine hochgeborene Frau – was dein Abt wohl dazu sagen wird? Und der große Bischof in Rom – was der dazu wohl sagen wird, Brüderchen?«
»Bruder?«, flüsterte Christina und hielt die Frau zurück, die sie weiter zwischen die Felsen ziehen wollte. »Das sind Brüder? Der Mórmaer und … Nial?«
»Ich wusste, dass Bruder Nial aus vornehmem Haus kommt – aber ich wusste nicht, aus welchem«, raunte die Frau. »Und nun kämpft er hier gegen seinen Bruder … wegen Euch, hlæfdige ? Wegen Euch oder wegen etwas anderem?« Ihre Augen blitzten in der Dunkelheit auf. Christina wusste nicht, was sie sagen sollte. Und eigentlich ging es dieses zerlumpte Weib ja auch nichts an. Der Kampf der beiden Brüder nahm an Heftigkeit zu. Sie hatten den gefährlichen Bereich um die Zelte verlassen und hieben nun an dem immer noch brennenden Boot aufeinander ein, einer riesigen Fackel in der Nacht, deren Glut die beiden geheimnisvoll in Szene setzte – zwei riesige Krieger mit ungleichen Waffen, die versuchten, den Gegner zu treffen, und immer wieder an der Verteidigung des anderen abprallten. Gott hatte die Stange des Mönchs wohl mit einem heiligen Schutz umgeben, dass sie nicht splitterte, wenn sie auf die Klinge traf. Wie gebannt starrte Christina auf die Waffen. Ein Mönch kämpfte da … für ihre
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