Die Stunde Der Toechter
schien nicht sein Ding zu sein.
Johanna stibitzte ein Stück Fleischkäse von seinem Teller. »Magst du nicht mehr?«
Er schüttelte den Kopf. Auf einmal sah er nachdenklich aus.
»Ist alles in Ordnung?«
Er lächelte. »Ja, sicher.« Es wirkte sehr gequält.
Die Jasser am Nebentisch stritten sich. Einer war mit der Spielweise seines Partners nicht einverstanden. Ein weiterer schüttete Öl ins Feuer und hänselte die Kollegen. Schließlich wurde der Frieden mit einer Runde Bier und Schnaps erkauft.
Johanna aß ihren Teller leer. Vielleicht hätte sie nicht in eine Proletenkneipe gehen sollen. Sie war rüde Umgangsformen dermaßen gewohnt, dass sie kaum mehr merkte, wie befremdend dies für andere Leute sein konnte.
Luc begleitete sie zum Marktplatz, wo ihre Vespa stand. Beim Abschied getraute Johanna sich nicht, ihn zu küssen. Er machte auch keine Anstalten. Also gaben sie sich die Hand. Immerhin konnte sie ihm seine Handynummer abluchsen. Und das Versprechen, dass sie sich wieder treffen würden.
37.
Das Telefon klingelte. Tropfnass stürmte Johanna aus der Dusche. Sie hatte keine Ahnung, wo sie das verdammte Handy hingeschmissen hatte. Aber sie war sicher, dass am anderen Ende der Leitung ein junger welscher Anwalt wartete. Mit kastanienbraunen Augen. Und einem Lächeln, mit dem er in einer Urchristengemeinde die freie Liebe einführen könnte.
Vor Aufregung schmiss sie fast die Vase um. Der Blumenstrauß verlieh ihrer Zweiraumwohnung einen Hauch von Rio de Janeiro. Es war, als summten die Blumen pausenlos The Girl From Ipanema.
Das Handy verstummte plötzlich. Scheiße! Wo war es bloß?
Sie hob das Krepppapier auf, das am Boden lag. Neben der durchsichtigen Blumenverpackung. Dabei glitt sie aus. Auf einem Mobiltelefon. Im Fallen konnte sie sich gerade noch auf das Sofa retten, bevor sie auf ihrem Couchtisch zerschellt wäre. Sie griff nach dem Handy und drückte die Rückruftaste.
»Wir müssen uns treffen, Johanna!«
»Mist. Bist du das Bernhard?«
»Freut mich, dass es dich auch freut.« Er klang gehetzt. »Ich hole dich in fünf Minuten ab. Warte vor deinem Haus auf mich.« Er beendete das Gespräch.
Johanna schaute zu, wie sich ihr Sofa mit Wasser vollsog, das von ihr heruntertropfte. Das Duschmittel überzog den Stoff mit feinem Schaum. Sie hatte sich gerade eingeseift, als der Klingelton in ihre Tagträume gedrungen war.
Wohl oder übel ging sie wieder ins Bad und spülte den letzten Schaum von ihrer Haut. Dann schrubbte sie sich trocken. Im Schlafzimmer nahm sie ein paar Kleider aus dem Schrank. Egal was. Sie wollte Bernhard Stämpfli nicht bezirzen. Nachdem sie angezogen war, steckte sie die Dienstwaffe in das Holster und zog ein Jackett an, das die Pistole verdeckte.
Als sie die Wohnung verließ, steckte sie missmutig eine Zigarette in den Mund. Auf dem zweitletzten Treppenabsatz kam ihr Frau Zuberbühler entgegen. Hausmeisterin aus Leidenschaft. Sie folterte Johanna mit dem bösen Blick. Diese konnte nicht anders, als stehen zu bleiben und die Kippe anzuzünden. Aus den Augen ihrer Nachbarin sprühten glühende Funken.
»Ich weiß, in Singapur würde ich jetzt aufgeknüpft«, sagte Johanna im Vorbeigehen. »Aber wir sind in der Schweiz. Das ist ein freies Land.« Sie ging weiter und öffnete die Haustür.
In diesem Moment rissen die Nerven der alten Frau. Das Flurfenster wurde aufgezerrt. Es lag schräg über dem Eingang. »So eine ist Polizistin! Eine Schande ist das. Kein Wunder fahren die Neger Auto! Und die Tamilen tragen Lederjacken! Unsereins getraut sich nicht mehr auf die Straße. Schämen sollten Sie sich!«
Das Fenster wurde zugeschlagen.
Johanna öffnete das Gartentor und hielt Ausschau nach Stämpfli. Er kam, als sie gerade die zweite Zigarette anzündete. Der Freiheit zuliebe.
Stämpfli öffnete die Beifahrertür. Sie stieg ein und blies den Rauch aus.
»Hier drinnen kannst du nicht rauchen, Johanna. Das ist ein Mietauto.«
Sie öffnete die Tür.
»Also gut! Aber mach das Fenster auf.«
Johanna schloss die Tür wieder und ließ die Scheibe herunter.
Bernhard Stämpfli gab Gas. »Ich bin schon zweimal um den Block gekurvt.«
Er fuhr in Richtung Bahnhof Oerlikon, bog aber vorher ab. Es sah aus, als wollte er in die Innenstadt fahren.
»Machen wir Sightseeing, Bernhard? Mittlerweile kenne ich Zürich recht gut.«
Er schüttelte den Kopf. »Ich muss mit dir reden. Und im Auto ist das Risiko am kleinsten, dass jemand mithört.«
»Bist du auf der Flucht?«
Er
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