Die Stunde Der Toechter
nickte. »Hügli hat mich fallen lassen. Jetzt bin ich Freiwild.« Vor dem Bucheggplatz bog er ab. Stadtauswärts. »Dreißig Jahre haben wir zusammengearbeitet. Und jetzt verkauft mich der Schuft an die Russen.« Unwillkürlich trat er aufs Gas. Als er es realisierte, bremste er.
»Ich habe Tamara gestern in deinem Büro gefunden. Sie war völlig aufgelöst und stand unter Schock. Hast du das gewusst?«
Erschreckt schaut er sie an. »Um Gottes willen, nein! Ich habe mit niemandem gesprochen. Es ist zu gefährlich.« Er überlegte kurz. »War es einer ihrer paranoiden Anfälle?«
Johanna zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Ich weiß nicht, wie solche Anfälle sind. Jedenfalls hat es mich zu Tode erschreckt.« Sie warf die Kippe aus dem Fenster hinaus. Der Fahrtwind war warm. »Es geht ihr besser. Sie hat Medikamente erhalten.«
Stämpfli warf ihr einen raschen Blick zu, bevor er an einem Rotlicht stoppte. »Hast du sie gesehen?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe heute Abend mit Claudia telefoniert. Die beiden haben einen Ausflug in die Glarner Alpen gemacht. Zur Entspannung. Morgen besuche ich sie.«
Er fuhr wieder an und steuerte in Richtung Autobahn.
»Weißt du, dass dein Büro verwüstet worden ist? Es sieht aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen.«
»Ja? Ich war nicht dort. Ich gehe nirgends hin, wo man mich erwarten könnte. Aber es erstaunt mich nicht. Sie werden nichts finden. Genauso wenig wie deine Leute.« Er schmunzelte. »Es geht jetzt um meinen Kopf, Johanna. Das ist kein Spiel mehr.«
»War es denn jemals ein Spiel, Bernhard?«
Er seufzte. »Als ich angefangen habe, war es so.« In Affoltern fuhr er auf die Autobahn nach Westen. »Auf einer Ausgrabung in Italien habe ich Werners Schwester kennengelernt.«
Johanna horchte auf. »Werner Hüglis Schwester?«
Er nickte. »Sie war Archäologin und etwas älter als ich. Ich habe Kunstgeschichte studiert. Am Monte Iato in Sizilien hatte ich einen Ferienjob. Das Archäologische Institut der Uni Zürich hat in den Siebzigerjahren dort gegraben.« Er reihte sich in den Samstagabendverkehr ein. »Es war Liebe auf den ersten Blick. Eine wundervolle Romanze in einer wundervollen Zeit in einem wundervollen Land. Tja, und aus lauter Sentimentalität habe ich eine griechische Tonscherbe mitgehen lassen. Weiß und rund. Mit blauer Farbe war ein Stier aufgemalt. In der Schweiz habe ich dann herausgefunden, wie viel Wert so etwas hat. Aber ich habe sie nie verkauft.« Mit den Fingern trommelte er einen Takt aufs Lenkrad. Sie kamen nur noch im Schritttempo vorwärts. »Dann ist Werner auf die Idee gekommen, ein Geschäft daraus zu machen. So einfach ist das. Du machst ein bisschen Geld. Dann etwas mehr. Dabei lernst du, wie das Geschäft funktioniert. Du willst dich verbessern, gehst Risiken ein. Machst plötzlich Gewinne wie ein Börsenspekulant. Und schon hat es dich erwischt und lässt dich nie mehr los.« Er lächelte sie an. »So geht das. Nur die Liebe ist daran zerbrochen. Werners Schwester ist ein viel zu anständiger Mensch. Wegen dieser Sache hat sie mit uns beiden gebrochen. Sie lebt immer noch in Italien.«
Der Verkehr wurde flüssiger. Sie fuhren weiter westwärts.
»Woher weißt du denn, dass Hügli sich gegen dich stellt, Bernhard?«
Er trommelte wieder auf dem Steuerrad herum. »Ich weiß es nicht, aber ich vermute es. Es ist naheliegend. Seit gestern versucht er herauszufinden, wo ich gewisse Dinge versteckt habe. Er wühlt in meinen Sachen herum. Setzt meine Kontaktpersonen unter Druck. Wenn das nicht gegen mich gerichtet wäre, könnte er mich direkt fragen, oder?« Langsam schraubte er das Tempo hoch. »Ich bin sicher, dass seine Tochter auf ihn eingewirkt hat. Sie steckte schon hinter der Entführung. Allerdings hat sie kaum damit gerechnet, dass Bogdanow ihren eigenen Mann umbringen würde. Sie hat den Widerling unterschätzt. Weil er schwul ist.« Er lachte.
»Halte dich bitte an die Geschwindigkeitslimite, Bernhard. Es wäre peinlich, wenn uns eine Streife zusammen erwischen würde.«
Sofort nahm Stämpfli seinen Fuß vom Gaspedal.
»Salome Hügli steckte hinter der Entführung?«
Er nickte. »Sie hat Bogdanow verraten, wann und wo Hüglis Anwalt und ich uns treffen wollten. Es ging um die Übergabe des Zylinders. Hügli sollte ihn aufbewahren. Aber ich hatte ihn nicht dabei. Vorsichtshalber.«
Johanna war irritiert. »War nicht geplant, das Siegel an diesem Abend zu verkaufen?«
Stämpfli grinste. »Du meinst der
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