Die Stunde der toten Augen
hatten, Helden zu sein. Das war damals, als ihr zwei bei mir gegessen habt.
Als du die Büchse mit dem Messer öffnen wolltest. Damals sagte Georgi, es ist ein Jammer, was sie aus euch gemacht haben ..."
„Ein Menschenfreund", sagte Bindig, „ein Weiser, der alles versteht und alles verzeiht. Vielleicht möchte er mich aus lauter Mitleid adoptieren!"
„Du bist krank", sie griff nach seiner Hand und hielt sie fest, „du solltest nicht streiten, sondern schlafen .. ,"
„Ich bin nicht krank!" begehrte er eigensinnig auf. „Aber ich kann Leute nicht leiden, die mit Weisheit um sich werfen. Ich lasse mich nicht gern als ein kleines Kind behandeln, denn sie haben uns verdammt zeitig abgewöhnt, uns als Kinder zu fühlen!"
Sie widersprach ihm nicht, und auch er schwieg. Er drückte die Zigarette aus und starrte in die Dunkelheit. Dann fragte sie zögernd: „Du hast ihn geschlagen?"
„Ich habe verhindert, daß er auf mich schoß. Er ist zwar weise, aber mir ist es ziemlich egal, ob ein Weiser oder ein Narr auf mich schießt. Ich wehre mich gegen beide."
„Mein Gott!" sagte sie. „Vielleicht wäre ich heimgekommen und hätte deine Leiche gefunden. Ich darf nicht mehr daran denken."
„Du kannst ruhig daran denken!" Er lachte leise auf. „Und du brauchst keine Angst zu haben. Ich weiß zwar nicht sehr viel vom Leben und von der Welt. Nur das, was man in Büchern findet. Aber dafür kenne ich sieben verschiedene Arten, mit der bloßen Hand zu töten."
„Wenn doch dieser Irrsinn ein Ende nähme", sagte sie. „Man hat dieses bißchen Leben, und man weiß nicht, an welchem Tag sie es einem nehmen. Ein Dreck ist das ganze Leben gewesen. Und sie lassen einem nicht einmal diesen Dreck!"
Sie richtete sich auf und beugte sich über ihn. In der Dunkelheit konnte er die Umrisse ihres Körpers erkennen. Er spürte ihre Wärme und sah, wie ihre Lippen sich bewegten.
„Ich bin immer allein gewesen", sagte sie, „als Kind und als Mädchen und als Frau. Es war immer das gleiche. Ich war allein mit dem Schlag meines Herzens. Und seit ein paar Tagen habe ich Angst, daß du einmal nicht mehr zurückkommst. Es ist, als hätten sie mich mein ganzes Leben lang auf eine Folterbank gefesselt. Immer Angst und Haß und ein bißchen Hoffnung. Und jetzt nur noch Angst. Um dich."
Er strich über ihr Haar und ließ die Hand auf ihrer Schulter liegen. „Wenn sie dahinterkommen, was in diesem Hause los ist", sagte er, „dann werden wir alle drei in der gleichen Stunde sterben. An einer Wand hier im Dorf, an der man schon hundertmal vorbeigegangen ist. Oder an einer in dem Nest, in dem die Division ihr Quartier hat und die Feldgendarmerie."
Sie ließ ihren Kopf auf seine Brust sinken. Er spürte, daß sie weinte, und biß sich auf die Lippe,
„Mein Gott", flüsterte sie, „mein Gott im Himmel, wenn es dich gibt, warum machst du nicht diesem Irrsinn ein Ende!"
Er erinnerte sich plötzlich an die Pistole, die er dem Russen abgenommen hatte. Leise fragte er sie: „Wo hast du die Pistole hingetan?"
„Es waren zwei Pistolen", sagte sie, „die eine steckt in deiner Tasche."
„Und die andere? Die von dem Russen?"
„Ich habe sie ihm gegeben."
Er lag ganz still. Er bewegte auch seine Hände nicht. Er fragte nur: „Er hat die ganzen Tage, als ich hier lag, die Waffe gehabt?"
„Ja", sagte sie einfach, „er hat sie gehabt."
Nach einer Weile fügte sie hastig hinzu: „Du brauchst keine Angst zu haben. Er wird dich nicht erschießen.
„Ich habe keine Angst. Aber es war unklug, ihm die Waffe zu geben."
Sie sagte leise: „Nein. Es war nicht unklug. Denn er wird nicht auf dich schießen und überhaupt auf niemanden. Er hat die Pistole, und er braucht sie, denn sie würden ihn quälen, wenn sie ihn erwischten. Deswegen braucht er die Pistole. Er weiß, daß du ihn nicht verraten wirst, und er wird nicht auf dich schießen."
„Du glaubst ihm ziemlich viel."
„Man kann ihm glauben."
„Das ist es ja gerade", sagte er gequält, „man kann ihm glauben, und man glaubt sich selbst nicht mehr."
„Es ist eine grausame Zeit", sagte sie. Er merkte, daß sie wieder weinte. Eine Weile preßte er ihren Kopf an seinen Körper, als könne er sie so beruhigen. Aber dann konnte er nicht mehr stille sein. Er konnte nicht mehr so mit ihr im Arm in der Dunkelheit liegen und spüren, wie sie weinte.
„Es ist eine verfluchte Zeit", sagte er zornig, „schlimmer als alle Zeiten, die es jemals gegeben hat! Aber wer hat sie gemacht? Du?
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