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Die Stunde der toten Augen

Die Stunde der toten Augen

Titel: Die Stunde der toten Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Thürk
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holen?"
    Bindig schüttelte den Kopf. Er hockte auf dem Strohsack und kramte in den Taschen nach Zigaretten. Als er welche gefunden hatte, hielt er Zado eine hin und brannte sich selbst eine an. Dann sagte er: „Ich bleibe. Ich fühle mich wieder ganz gesund."
    Zado zog an der Zigarette und betrachtete Bindig. Sie saßen einander gegenüber in dem gespenstischen Licht, das die am Boden stehende Kerze von unten her auf ihre Gesichter warf.
    Es hat ihn verdammt mitgenommen, dachte Zado. Wie war das bloß möglich? Man weiß nicht einmal richtig, was ihm gefehlt hat. Nervenfieber? Jedenfalls war es keine Erkältung oder so etwas. Es hat ihn um ein paar Jahre älter gemacht. Man könnte glauben, jetzt einen richtigen Mann vor sich zu haben. Dabei ist er doch noch nicht viel mehr als ein bedauernswerter großer Junge, der sich in eine eigenartige Frau verliebt hat. Scheinbar nicht ohne auf Gegenliebe zu stoßen. Ob sie ihn nun wirklich liebt oder ob das so ein Verhältnis ist, das sich zwischen Bett und Waschbecken abspielt? Wer lehrt einen die Weiber kennen? Vielleicht hat sie doch nichts mit dem taubstummen Halbidioten, und es ist ihr ganz gelegen gekommen, daß Bindig sich in sie verliebt hat.
    Die Weiber sind heute nicht viel mehr wert als irgendein Ausrüstungsstück, das man bekommt. Bloß, daß sie nicht ins Soldbuch eingetragen werden. Wer weiß, ob sie jemals mehr wert gewesen sind. Es ist vielleicht alles nur Einbildung, und sie sind genau wie wir, und dann braucht man kein Wort mehr darüber zu verlieren.
    „Hat sie dich gepflegt?" erkundigte er sich.
    Bindig lächelte. Dann sagte er knapp: „Sehr gut."
    „Kann ich mir denken", sagte Zado und nickte. „Und jetzt?"
    „Was jetzt?"
    „Wie ich dich kenne, wirst du sie heiraten. Würde mich gar nicht überraschen. Ich war genauso. Das hat sich erst später gegeben."
    Bindig fragte nachdenklich: „Was hältst du davon, wenn ich sie heirate?"
    Zado kniff die Augenlider zu einem schmalen Schlitz zusammen. Er zog an der Zigarette und sah Bindig dabei aufmerksam an. Er dachte, daß sie ihn doch jetzt schon eine ganze Zeit in der Mache hatten, aber er hat trotzdem Vorstellungen von der Welt, wie sie ein Kind hat.
    „Die Geschichte hat zwei Seiten", sagte er langsam. Er polkte mit dem abgebrannten Streichholz an der Kerze herum. „Die eine Seite ist die, daß Alf
    deine Habseligkeiten nicht per Feldpost an sie zu schicken braucht, wenn du hops gehst. Er kann die paar Schritte zu Fuß gehen und ihr das Zeug persönlich überreichen. Die andere Seite ist die, daß sie sich in Zukunft ein bißchen wird vorsehen müssen, wenn sie einen anderen Mann zu sich nimmt. Kann sein, du kommst plötzlich und unerwartet vom Einsatz zurück und hast gerade noch eine schön lockere Hand."
    Bindig schüttelte den Kopf. Er sagte unwillig: „Mit dir kann man über solche Dinge nicht sprechen. Wenn es sich um Frauen handelt, bist du ein Schwein."
    „Das ehrt mich", sagte Zado. „Würdest du einen Schnaps mit mir trinken?"
    Bindig sagte nichts. Er wußte, daß man mit Zado nicht über Frauen sprechen konnte. Er wußte auch, warum das so war. Es kränkte ihn nicht, daß
    Zado Anna mit den gleichen Augen betrachtete wie die Huren, mit denen er sich abgegeben hatte. Aber er bedauerte es, daß er überhaupt mit niemandem über das sprechen konnte, was zwischen ihm und Anna war. Er sah, wie Zado aus seinem Gepäck eine Flasche hervorzog und Schnaps in zwei Trinkbecher einschenkte.
    „Wo hast du den französischen Kognak her?" fragte er. „Habt ihr welchen bekommen?"
    Zado hielt ihm einen der Becher hin und grinste. „Mein lieber Junge, im letzten Stadium dieses grandiosen Krieges, ganz kurz vor dem Endsieg, wird
    an einfache Soldaten kein Kognak mehr ausgegeben. Das müßtest du wissen.
    Das würde den Sieg verzögern. Um diese Zeit gibt es echten germanischen Zuteilungsschnaps und ein Produkt, das man fälschlicherweise als Rotwein

bezeichnet, das aber viel besser als Rotwein ist, weil man es nämlich nicht trinken kann und sich deshalb die Füße damit wäscht. Das härtet die Füße ab, und dieser Umstand erhöht die Marschleistung einer Truppe ganz beträchtlich. Prost!"
    Sie tranken. Dann sagte Bindig: „Du hast dich überhaupt nicht verändert."
    Zado nickte. Er hatte den Becher zur Hälfte ausgetrunken und fühlte, wie der Kognak im Magen brannte. „Ich freue mich, daß dir das auffällt", sagte er. „Ich bin überhaupt froh, daß du wieder da bist. Ich war regelrecht

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