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Die Stunde der toten Augen

Die Stunde der toten Augen

Titel: Die Stunde der toten Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Thürk
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Bindig. „Man denkt über manches nach."
    Bindig zog aus seiner Hosentasche zwei Päckchen Zigaretten. Es waren billige „Möwe", denn es gab seit einiger Zeit keine guten Zigaretten mehr für die Kompanie. Er hielt Warasin eine der Packungen hin und sagte: „Nehmen Sie. Oder rauchen Sie nicht mehr?"
    Der Russe schüttelte den Kopf. Er lächelte ein wenig, als er sagte: „Doch, ich rauche schon."
    Er griff nicht zu, und Bindig legte ihm die Zigaretten einfach auf die Schulter. Da nahm er sie. Sie rauchten gemeinsam, vor dem Haus stehend. Anna hatte noch nicht bemerkt, daß Bindig da war.
    „Worüber denken Sie nach?" fragte Bindig. „Über zu Hause?"
    „Auch über zu Hause", sagte Warasin einsilbig.
    „Moskau?"
    „Sie wissen, daß ich aus Moskau bin?"
    „Ich habe es mir gedacht", sagte Bindig, „zufällig stimmt es. Haben Sie Familie?"
    „Ich bin verheiratet."
    Bindig sah ihn an, und Warasin fügte hinzu: „Meine Frau ist auch in der Armee. Ich weiß nicht, an welcher Front."
    Die Harmonika, dachte Bindig, so eine wie diese Frau, die dich mit Augen ansieht, die du mit dir herumschleppst, bis du alt und grau bist oder bis du jung krepierst. Das sind ihre Frauen. Er stäubte nervös die Asche von der Zigarette und wußte nicht, was er sagen sollte. Er wollte mit diesem Russen sprechen, aber immer, wenn er dazu ansetzte, spürte er die unsichtbare Mauer, die sich zwischen ihnen auftürmte.
    Da stand Bindig, der zu Anna kam, um für ein paar Stunden Ruhe bei ihr zu suchen, bis er sich wieder von ihr trennen mußte, um das Handwerk weiterzuführen, zu dem sie ihn ausgebildet hatten. Und da stand ihm gegenüber Warasin, der ohne nennenswerte Erregung sagte, daß seine Frau in der Armee diente und er noch nicht einmal genau sagen könnte, an welcher Front. Er versuchte es, Warasin näherzukommen. Er sagte leise: „Es ist nicht gut, daß sie bei Ihnen die Frauen in den Krieg schicken. Es ist..."
    Er hatte es ganz anders sagen wollen, aber es gelang ihm nicht, denn in diesem Augenblick sah er so deutlich wie damals in der Nacht die großen schwarzen Augen der Harmonikaspielerin und verstummte.
    Warasin bewegte leicht die Schultern. Dabei sagte er: „Sie schicken die Frauen nicht. Die Frauen gehen selbst, Es ist sehr nötig, daß alle gehen, die den Mut haben."
    „Frauen gehören nicht an die Front", beharrte Bindig eigensinnig, „das ist kein Handwerk für Frauen. Sie kommen um dabei."
    Warasin widersprach ihm nicht. Er sagte nur nach einer Weile, dem Rauch seiner Zigarette nachblickend: „Ich glaube, eine Frau, die bei der Armee steht, hat mehr Aussichten, am Leben zu bleiben, als eine, die in ihrem Heimatort die deutsche Besatzung ertragen muß."
    „Das glauben Sie?"
    „Es ist erwiesen", sagte Warasin. „Es lohnt nicht, darüber zu streiten, denn es gibt Leute genug, die sich in den Gebieten umgesehen haben, die einmal von den Deutschen besetzt waren."
    „Haben Sie es selbst gesehen?"
    „Ich bin durch ganz Belorußland gekommen. Sie werden nach dem Krieg Gelegenheit haben, Dokumente darüber zu sehen."
    „Nach dem Krieg?" sagte Bindig. „Für Sie ist das Ende des Krieges bereits beschlossen. Ist das nicht voreilig?"
    Warasin bewegte leicht den Kopf. „Es ist sicher, daß dieser Krieg zu Ende geht. Die deutsche Armee wird zusammenbrechen. Das ist das Ende des Krieges und das Ende Hitlers. Ich hoffe, es mitzuerleben. Ich habe hart dafür gekämpft."
    „Sie können es hier abwarten", sagte Bindig mit einer Nuance Spott, „Sie sind dann sicher, daß Ihnen bis dahin nichts geschieht. Oder stimmt es, daß man in Ihrer Armee diejenigen zum Tode verurteilt, die sich in Gefangenschaft begeben?"
    Warasin warf den Zigarettenstummel in den Hof. Er blickte Bindig an. „Ich habe mich nicht ergeben", sagte er. „Ich kann das, was ich getan habe, zu jeder Zeit vor meiner Heimat verantworten. Und überdies scheinen Ihre Offiziere nicht viel von unserer Armee zu wissen. Sie würden Ihnen sonst nicht solchen Unsinn erzählen."
    Bindig hörte Anna im Flur mit den Stalleimern klappern. Er wartete, bis sie wieder in der Küche war. Dann sagte er: „Es interessiert mich nicht besonders stark. Aber Sie werden sicher bald Gelegenheit haben, Ihre Leute hier zu begrüßen. Oder glauben Sie, daß Ihre Armee sich in den Stellungen, die sie hier angelegt hat, für die Ewigkeit einzurichten gedenkt?"
    Zum erstenmal lächelte Warasin. „Ich bin überzeugt, daß sie kommen werden", sagte er. „Es gibt nichts auf der Welt,

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