Die Stunde der toten Augen
Barden ihn, „die Geschichte geht noch weiter ..."
Alf gelang es nicht, zu schweigen. Er fragte mit einem zugekniffenen Auge: „Will wohl der Herr NSFO mal mit auf Einsatz gehen, wegen dieser Wohnwagen?"
Barden lachte. Wenn der Junge zwei Kognaks getrunken hatte, wurde er spaßig. „Nicht doch!" sagte er, „Du vergißt, daß wir bei der Division mit weiblichem Personal besser versorgt sind als du bei deiner Kompanie! Die Geschichte hat einen anderen Haken. Ob es diese Wohnwagen gibt oder nicht, weiß ich nicht. Jedenfalls gibt es das Gerücht darum, und dieses Gerücht will der Herr NSFO auf äußerst geschickte Weise umdrehen."
„Umdrehen?"
„Ja. Und zwar so, daß es ein für uns positives und für die Russen gefährliches Gerücht ist. Mit einem Schlage."
„Darauf bin ich gespannt. Wenn ich vorschlagen dürfte: Landser bekommen während Benutzung der Damen unverhofft glühendes Eisen in Form von Sowjetstern aufgedrückt. Dazu der Hinweis, daß die Sowjets keine Brandbinden haben..."
Barden lächelte nachsichtig. „Der NSFO ist auf eine viel bessere Idee gekommen."
„Ich höre!" sagte Alf. „Vielleicht Genickschuß beim Küssen?"
Barden lächelte wieder sehr nachsichtig. Er sagte mit gerunzelter Stirn: „Du bist zu früh Offizier geworden, Bubi. Du hast keine Vorstellung von einem leichten Mädchen. Da wird nicht geküßt. Nicht einmal gesprochen. Wenigstens nicht viel. Und nun paß auf..."
„Schade...", sagte Alf. „Ich hatte mir das so schön ausgedacht mit dem Genickschuß ..."
„Ja. Also dieses Gerücht wird umgedreht. In deinem Bereich hast du dafür zu sorgen, daß es unter die Leute kommt. Die Frauen in den ominösen Wohnwagen sind Deutsche. Das ist der Dreh!"
Alf kippte einen Martell und fragte dann verständnislos: „Deutsche?"
„Ja ..." Barden lachte. „Grandioser Einfall! Verschleppte deutsche Frauen. Aus den paar Dörfern, die die Russen in Ostpreußen besetzt haben, und von sonst woher. Jeder Infanterist wird seine persönliche Ehre darin sehen, sie zu befreien! Guter Einfall, was?" fragte er, als Alf nichts sagte. Er sah seinem Neffen forschend ins Gesicht.
Aber der schüttelte den Kopf und sagte langsam: „Ich kann nicht behaupten, daß mir diese Geschichte gefällt. Sie ist mir zu primitiv."
Barden zuckte die Schultern.
„Und blödsinnig!" sagte Alf.
„Ich streite das nicht ab", sagte Barden, „ich übermittle dir nur eine Anweisung des NSFO."
Nach einer Weile sagte Alf: „Du unterschätzt meine Leute. Sie treiben sich zu oft hinter den Russen herum. Sie kennen sich aus. Man kann ihnen nicht mit solch idiotischen Dingen kommen. Sie sind keine Parteianwärter."
Barden setzte seine erkaltete Zigarre wieder in Brand. Er tat es mit einem ironischen Lächeln. Dabei sagte er: „Junge, du begehst einen Fehler. Du hältst mich für den NSFO. Ich bin aber nur der Ic. Und diese Geschichte ist nicht meine Erfindung, sondern die des NSFO."
„Ich werde sie ignorieren. Ich habe keine Lust, diese Geschichte zu kolportieren."
„Darüber verlange ich von dir keine Entscheidung", sagte Barden verbindlich. „Das ist nicht mein Ressort."
Barden setzte seinem Neffen auseinander, was sich in den letzten Wochen im Divisionsstab verändert hatte. Die Einsetzung des Führungsoffiziers hatte manches mit sich gebracht, womit zuvor niemand gerechnet hatte. Aber das betraf vorerst wenigstens nur den Divisionsstab, nicht die Kompanie, und Alf hörte es, ohne besonders beunruhigt darüber zu sein. Wöchentliche politische Schulungen. Abend Unterricht für Offiziere. Nationalsozialistisches Gedankengut. Die Umwandlung der Wehrmacht zu einer politischen Truppe.
Das würde seine Zeit dauern, sagte sich Alf. Und überdies war die Front hier recht dünn. Kein Mensch wußte, ob die Stellungen beim nächsten Angriff zu halten waren. Dann würde sich der neue NSFO vielleicht von selbst aus dem Staube machen. Alf war überzeugt davon, obwohl er nicht wußte, ob es sich um einen fronterfahrenen Mann handelte oder nur um einen Parteitheoretiker in Uniform. Man würde sehen.
„Wie sieht es aus, Onkel?" erkundigte er sich schließlich nach der allgemeinen Lage. „Wir sind hier abgeschlossen, wie man nur abgeschlossen sein kann. Wenn es nicht im Radio den Soldatensender West gäbe, wüßten wir überhaupt nicht, was in der Welt geschieht."
Barden war ein Mann, der im Stab als zuverlässiger Offizier galt. Er besaß Kenntnisse, das machte ihn wertvoll. Und er verstand es, seine Meinung über
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