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Die Stunde der toten Augen

Die Stunde der toten Augen

Titel: Die Stunde der toten Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Thürk
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Ersatzteile für die letzte Konstruktion der deutschen Rüstungsindustrie, den „Tiger". Man kratzte das Letzte zusammen, und die nationalsozialistischen Führungsoffiziere überboten sich gegenseitig in der Erfindung zugkräftiger Durchhalteparolen. Immer wieder wurde das unbedingte Vertrauen auf den Führer und den Endsieg gefordert. Es gab Soldaten, die gegenteiliger Meinung waren, und an den Bäumen entlang der ostpreußischen Landstraßen hingen die Leichen der ersten Deserteure. Irgendwoher kamen immer wieder die vielversprechenden Nachrichten von neuen, unerhört schlagkräftigen Waffen, die in Kürze die Lage grundsätzlich zugunsten Deutschlands ändern würden. Von den Soldaten, die an der Invasionsfront im Westen gekämpft hatten, kannte mancher diese Gerüchte längst.
    Sie hielten sich sehr hartnäckig, waren wie ein Stückchen aufgeschwemmtes Holz, das einen schiffbrüchigen Nicht-schwimmer durch eine kochende Brandung tragen soll.
    Inzwischen waren die Fronten erstarrt. Es schien, als sammle die Rote Armee noch immer Menschen und Material für ihren Angriff, und es schien, daß die riesigen Strecken, die zwischen ihrem Standort und ihren Versorgungsbasen lagen, die Zeit für die Heranführung von Reserven verlängerten. Abgesehen von den wenigen örtlich begrenzten Angriffen, die es ab und zu gab, lagen sich die Heere abwartend gegenüber, als ob sich der Krieg in Ostpreußen und an seinen Grenzen für eine kurze Weile zum Schlaf niedergelegt hätte.
    Barden wußte, wie das Erwachen aus diesem Schlaf aussehen würde. Durch seine Hände wanderten die Meldungen der Aufklärungskompanie, die sein Neffe führte. Er wertete diese Meldungen aus und entschied im Einvernehmen mit dem Chef der Heeresgruppe über die Aktionen, die unternommen wurden, um den gegnerischen Aufmarsch im Hinterland zu stören.
    Er wußte, wie gering die Chance war, dadurch etwas an den bevorstehenden Ereignissen zu ändern, aber er hütete sich davor, es irgendeinem anderen Menschen einzugestehen außer sich selbst.
    „Du hast jetzt neunzehn Mann im Einsatz...", sagte er m Alf.
    Der nickte. „Neunzehn. In vier verschiedenen Gruppen. Es ist das erstemal, daß so viele Leute zugleich im Einsatz sind."
    Barden überlegte eine Weile. Dann sagte er: „In absehbarer Zeit werden wir weitere zwei Gruppen anfordern. Ein Großeinsatz."
    „Mit zwei Gruppen?"
    ja. Aber beide Gruppen gemeinsam." Et dämpfte seine Stimme, obgleich nicht die geringste Befürchtung bestand, daß jemand ihr Gespräch mithörte. „Wir setzen eine Anzahl Wlassow-Leute hinten mit ein. Freiwillige. Sie haben bereits ihre Ausbildung hinter sich."
    „Wlassow?" erkundigte sich Alf. „Ist das der übergelaufene Russe?"
    Barden nickte. „Er hat nichts zu sagen. Man hat ihn ziemlich kaltgestellt. Aber er hat eine Menge Russen an sich gezogen, für diese Aufgaben sind sie zu verwenden. Ein Teil wird sicher drüben die Uniformen ausziehen und sich aus dem Staube machen, aber es werden immer noch genug übrigbleiben."
    „Wofür?"
    Barden beschnitt eine neue Zigarre. Et ging mit seinen Zigarren um wie mit völlig wertlosen Gegenständen. Als wüßte er nicht, daß es teure Importen waren, die sich der Stabsmarketender nur auf Umwegen beschafft hatte und die ohnehin bald zu Ende gingen.
    „Wofür?" wiederholte er. „Für verschiedene Dinge. Du darfst nicht vergessen, daß diese Leute Russen sind. Sie sprechen die Sprache und kennen sich in den Gepflogenheiten der Armee gut aus."
    „Mein Gott", sagte Alf, „glaubst du, das wird den Krieg entscheiden?" Er blickte den Onkel an, aber der lächelte ihm gemütlich ins Gesicht, an seiner Zigarre paffend.
    „Natürlich nicht", sagte er, „im übrigen werden sie verhältnismäßig unbedeutende Aufgaben bekommen. Aber immerhin tragen sie Uniformen der Roten Armee und sind nicht so leicht zu erkennen. Wenn sie auch nichts entscheiden, so richten sie doch Verwirrung an. Allerdings, wie ich die Russen kenne, wird sie diese Verwirrung nicht weiter stören."
    „Das sagst du mir heute, und morgen wirst du ihnen schildern, wie sehr von ihrem Einsatz der Endsieg abhängig ist."
    „Soll ich lieber als Kompaniechef zur Infanterie nach Gum-binnen gehen? Es gibt genug Leute, die auf meinen Posten als Ic lauern ..." Barden paffte ein paar Rauchwolken in die stickige Luft des Zimmers. Alf sah nachdenklich auf die Kognakflasche. Barden nahm die Zigarre aus dem Mund und sagte leise:
    „Junge, du mußt dir darüber klar sein, daß uns

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