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Die Stunde der toten Augen

Die Stunde der toten Augen

Titel: Die Stunde der toten Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Thürk
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auf der deutschen Seite die Verwundeten barg und die Toten auf Zeltbahnen nach hinten schleifte, machte bei den Infanteristen, die ihre Zigaretten in den hohlen Händen verbargen, wie jeden Tag das Gerücht die Runde, daß eine Division Flak eingetroffen sei. Zum Erdkampf kommandiert. Die Artilleristen würden die Schützenlinien verstärken. Sie würden aber auch ihre Kanonen aufstellen, damit es endlich ein Gegengewicht zu der weit stärkeren sowjetischen Artillerie gäbe.
    Die Flakartilleristen mit ihren Kanonen trafen nicht ein. Es war nicht daran zu denken, aber das Gerücht hielt sich hartnäckig, und die Offiziere taten nichts, es zu zerstreuen. Sie hatten genug zu tun, alle anderen Gerüchte zu zerstreuen, die unter den Männern die Runde machten und die gefährlicher waren als jenes von der Flakartillerie, das immerhin noch eine Art Hoffnung auslöste, die beinahe angenehm war.
    Wegen eines solchen Gerüchtes erschien an einem Abend, der in Haselgarten verhältnismäßig ruhig verlief, Oberst Barden bei seinem Neffen, dem Leutnant Alf.
    Barden war ein groß gewachsener, breitschultriger Mann. Er hatte etwas Väterliches an sich, und in der Tat verkehrte er mit Untergebenen stets gern auf eine joviale, begütigende Art, was ihm manche Sympathien sicherte. Er hatte stark ergrautes Haar und die Angewohnheit, Zigarren zu rauchen.
    Manchmal zündete er eine Zigarre sechs- oder siebenmal an, weil sie ihm immer wieder ausging. Das war jedoch nicht der schlechten Qualität der Marketenderzigarren beim Divisionsstab zuzuschreiben, sondern eher der Gedankenlosigkeit des Obersten, der es einfach vergaß, an den Glimmstengeln zu ziehen, und sie statt dessen zwischen den einwandfrei gepflegten Fingern hielt, während er mit jemand redete oder Aufzeichnungen machte.
    Er begrüßte seinen Neffen, indem er ihn umarmte und ihm lebhaft auf die Schultern klopfte. Er konnte Alf recht gut leiden, und Alf wußte das. Diesem Umstand verdankte Alf, wenngleich nicht seine Karriere als Offizier, so doch die verhältnismäßig ungefährliche Aufgabe, eine Truppe zu kommandieren, ohne selbst an einer Gefechtshandlung teilzunehmen. Barden nahm vom Rücksitz des Fahrzeuges ein in Pergamentpapier eingewickeltes Päckchen, klemmte es unter den Arm und schob Alf in sein Quartier, nachdem er den Fahrer angewiesen hatte, den Wagen in Deckung zu fahren und sich in der Nähe aufzuhalten.
    „Bubi", sagte er lächelnd, „erzähle mir, wie es dir geht!" Er nannte Alf stets Bubi. Er wußte seinen richtigen Vornamen nicht einmal, denn jeder in der Familie hatte Alf immer nur so angeredet, weil er der Jüngste gewesen war. Alf stellte zwei Kognakgläser auf den Tisch und griff nach einer Flasche, die in der Nähe seiner Schlafstelle stand. Aber Barden rief erschrocken: „Laß um Himmels willen dieses Gesöff, wo es ist! Hier, nimm das! Der Rest von einer Kiste Martell..." Er wickelte die Flasche aus dem Papier. Es kamen noch ein paar Packungen mit Zigaretten zum Vorschein, die Barden ebenfalls Alf zuschob, eine Blechbüchse mit englischem Kaffee und eine Pralinen Schachtel.
    „Du scheinst noch ganz gut versorgt zu sein, Onkel", sagte Alf, während er die Zinnkapsel von der Kognakflasche abzog. Barden beobachtete ihn schmunzelnd. Der Junge sah gut aus. Bubi hatte immer gut ausgesehen. Ein Wunder, daß er noch nicht verheiratet war. Barden war sich nicht sicher, ob Alf überhaupt ein Mädchen hatte.
    „Kaffee", sagte Alf und nahm die Büchse in die Hand, um die Beschriftung zu lesen, „Beutekaffee! Ich habe seit einem Vierteljahr keinen richtigen Kaffee mehr getrunken."
    Barden nickte. Dann sagte er vorwurfsvoll: „Warum meldest du dich nicht? Es ist immer etwas Kaffee für Offiziere da. Man muß sich nur darum kümmern. Oder nimmt dich deine Aufgabe hier so in Anspruch?"
    Alf überhörte die Ironie. Er tippte nur mit dem Finger gegen die Blechdose und sagte: „Beutekaffee. Was würden wir trinken, wenn wir nicht zufällig gegen England Krieg führten?"
    Der Oberst lachte breit auf. Er lehnte sich auf dem Stuhl zurück, den er eingenommen hatte, und öffnete die Knöpfe seines Uniformrockes. Er trug ein paar Auszeichnungen von 1914 und das Kriegsverdienstkreuz von der Zeit her, als er Lehrer an der Kriegsschule gewesen war.
    „Du hast dich ziemlich spartanisch eingerichtet", stellte er nach einem Rundblick in der Stube fest. Alf quittierte diese Bemerkung mit einem Nicken. Er goß den Kognak in die beiden Gläser und verkorkte die Flasche

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