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Die Stunde der toten Augen

Die Stunde der toten Augen

Titel: Die Stunde der toten Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Thürk
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anderen gingen gern mit ihm zusammen, denn er besaß Kräfte wie ein Bär. Einmal hatte er einen Verletzten achtzehn Kilometer auf dem Rücken getragen und gerettet. Der Mann hatte schon mit der Mündung der Beretta im Mund in einem Gebüsch gelegen, und der Obergefreite war der letzte gewesen, der an ihm vorbeizog. Er nahm ihn mit... Er setzte die Flasche ab und rülpste wohlig. Dann griff er nach einer Zigarette und sah zu, wie Zado seine Haut trockenrieb.
    „Paß auf, daß du nicht explodierst...", grinste Zado. Der Obergefreite winkte lässig mit der Hand. Er kam dabei mit dem glühenden Ende der Zigarette an seinen Arm. Die Funken stoben, aber der Mann schien das nicht zu merken.
    Wir müssen immer beieinander bleiben, hatte das Mädchen gesagt. Es war dunkel gewesen, und im Zimmer hatte es nach einem Parfüm gerochen, das Zado kannte. Sie hatten einen Ballon davon in irgendeinem holländischen Parfümladen entdeckt und mitgenommen. Der Ballon war zuletzt beim Stab gelandet, und die Offiziere hatten es für sich in Bierflaschen abgefüllt. Es hatte eine Zeit gegeben, zu der man bereits auf der Straße des Ortes, in dem der Stab lag, riechen konnte, welches Haus er besetzt hatte. Es hatte wenig Sinn, sich darüber den Kopf zu zerbrechen, wer dem Mädchen wohl das Parfüm geschenkt hatte.
    „Vielleicht verändert sich die Front nicht mehr", hatte das Mädchen gesagt, „dann bleiben wir immer zusammen, und wenn der Krieg vorbei ist, wohnst du bei mir. Es wird sehr schön sein ..."
    Zado hatte mit ihrem Haar gespielt. Er liebte dieses volle, schwere Haar. Er hatte sie nicht angesehen, nur ihre Stimme hörte er. Diese Mädchen waren in dunklen Zimmern besser zu ertragen als in hellen. Er erinnerte sich nicht mehr genau an das, was er ihr geantwortet hatte. Aber er wußte, daß er ihr Hoffnungen gemacht hatte. Es gab nicht sehr viele Mädchen in diesem Dorf. Es war gut, wenn man wußte, zu wem man gehen konnte, wenn wieder ein Einsatz vorüber war.
    Dieses Mädchen hatte etwas Mütterliches. Wenn er müde war, zog sie ihm Schuhe und Strümpfe aus. Sie kleidete ihn aus und legte alles ordentlich zusammen. Sie bügelte seine Hosen und wusch seine Hemden. Sie war nicht besonders schön. Nicht einmal besonders verdorben. Nur lebte sie in einem Dorf, das von der Wehrmacht besetzt war.
    Zado rieb sich nachdenklich das Haar trocken. Auf dem Fußboden stand neben der Waschschüssel eine kleine Pfütze. Sie ist einsam, dachte Zado, sie ist ebenso einsam wie wir. Sie hat angefangen, sich die Langeweile mit ihrem Körper zu vertreiben, und sie findet kein Ende mehr. Das ist es. Sonst nichts. Sie nennt das Liebe. Weiß man überhaupt noch, was man Liebe nennen soll? Vielleicht das, was sich zwischen Bindig und dieser Anna abspielen wird? Sicher wird es dazu kommen. Ist das dann Liebe?
    Der Obergefreite quengelte: „Übermorgen geht's los... ich weiß es ganz genau. Und sie werden mich wieder ... alles egal... wenn der Bols alle ist..."
    „Dann bringst du dir eine Kiste Wodka von drüben mit, wie ich dich kenne", sagte Zado. Er zog das Hemd an und griff nach der Uniform.
    „Wodka...", lallte der Betrunkene angeekelt, „das ist Brennspiritus mit Flöhen .. „*' Er grinste: „Davon kriegt man den Tripper... ins Gehirn ... und in die Backenzähne! Stell dir vor: Tripper in den Backenzähnen ..."
    „Du bist ein Schwein", sagte Zado sachlich. „Du solltest wenigstens einmal am Tag für eine halbe Stunde nüchtern sein, damit du begreifen kannst, daß du die übrige Zeit besoffen gewesen bist."
    Der Obergefreite gehörte zu Timms Zug. Wenn sie zwischen den Einsätzen Dienst machten, dann erschien Timm ein paar Stunden zuvor und nahm dem Obergefreiten die Flasche weg. Ein paar Stunden genügten, daß er dienstfähig wurde. Timm behandelte ihn wie ein krankes Kind. Wenn er damit keinen Erfolg hatte, brüllte er ihn an. Das half immer, denn der Obergefreite hatte das Gemüt eines Kindes.
    Er sah Zado schief an und bettelte: „Nicht doch Schwein... du kannst nicht sagen ..."
    Zado erinnerte sich wieder an das Mädchen. Er sah es so vor sich, wie es in dem Bett lag, und über dem Bett, an der Wand, hing ein kleiner, gläserner Weihwasserkessel mit einem Engel darüber. Er war leer, denn das Zimmer, in dem das Mädchen wohnte, gehörte ihr nicht, und überdies war das Mädchen nicht religiös genug, um den Kessel wieder mit Weihwasser zu füllen. Sie benutzten ihn als Aschenbecher, und es war schön, in der Dunkelheit zu liegen,

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