Die Stunde der toten Augen
große Schüssel mit Wasser hereinholte und sie auf den Ofen stellte. Die Stube, in der sie lagen, war einmal die gute Stube der Bauernfamilie gewesen. Sie hatten die Möbel ausgeräumt und in die Scheune gestellt. Die Matratzen hatten sie nebeneinander auf dem Fußboden ausgelegt. So gab es mehr Platz in der Stube. Sie lagen zu sechs Mann darin, mit ihrem Gepäck und einer Anzahl Gegenständen, die zum täglichen Gebrauch bestimmt waren: die Waschschüssel, ein paar große Töpfe, eine Kaffeekanne mit einer gestrickten Wärmemütze, Eßbesteck, das aus sechs verschiedenen Häusern zusammengesucht war, Decken, alte Gardinen, die sie zum Putzen der Waffen benutzten, und ein Wetzstein, den Zado in der Küche irgendeines Hauses entdeckt hatte. In der Nähe des eisernen Ofens stand auf der Erde ein Grammophon mit einem riesigen Schalltrichter. Zuerst war nur das Grammophon dagewesen. Den Schalltrichter hatten sie später hinter den Häusern auf einem Gerümpelhaufen gefunden. Kraftfahrer hatten ihn als Benzintrichter benutzt. Er stank noch jetzt danach. Aber der Apparat spielte. Die Männer hatten ein paar Platten aufgetrieben. Es waren alte Lieder aus Großmutters Zeiten, aber irgendeiner hatte später aus dem Ort, in dem der Stab lag, ein halbes Dutzend neuer Platten mitgebracht. Die spielten sie abwechselnd. Es gab keinen, der sie nicht schon auswendig kannte. Als das Waschwasser warm war, stellte Zado die Schüssel auf einen Stuhl und zog sich aus. Der andere in der Ecke sah ihm unbewegt zu. Zado rieb sich den Oberkörper ab, dabei leise vor sich hin pfeifend. Das Mädchen hatte etwas von Liebe gesagt.
Der Obergefreite in der Ecke griff nach der Flasche. Es war Bols, und er stammte noch aus Holland. Der Obergefreite besaß noch eine halbe Kiste dieser Flaschen. Er hatte sie selbst gestohlen. Als sie Harderwijk räumten, war er mit einem Kraftfahrer zum Verpflegungslager gefahren, um für die Kompanie einen Zentner Brot, einen Viertelzentner Butter, ebensoviel Käse, zweitausend Zigaretten und hundert Flaschen Bols zu empfangen. Die Posten hatten um diese Zeit nicht mehr genau aufgepaßt, und der Obergefreite hatte zusammen mit dem Kraftfahrer zwei Kisten Bols zusätzlich aufgeladen. Nachher hatten sie geteilt. Die halbe Kiste, die er noch besaß, war der Rest seines Anteils. Er war nicht geizig, und aus diesem Grunde stahl ihm auch keiner etwas von dem Bols. Man brauchte ihm nur zu sagen, daß man eine Flasche haben wolle, und man bekam sie. Aber es gab besseren Schnaps als diesen Bols, und daher hielt sich der Rest in der Kiste des Obergefreiten ziemlich lange. Der Kraftfahrer hatte die Kiste heimlich auf seinem Wagen von Holland bis nach Haselgarten gefahren. Manchmal kam er, und dann trank er mit dem Obergefreiten gemeinsam eine Flasche aus. Die beiden waren seit der Ausbildung befreundet.
„Da!" grunzte der Obergefreite. Zado blieb keine Zeit, zu überlegen, was der Betrunkene wollte. Er sah die Flasche auf sich zufliegen und mußte sie auffangen. Sie glitt ihm beinahe aus der Hand, denn seine Handflächen waren glatt von der Seife. Aber er fing sie, indem er sie an den Körper preßte, und dann nahm er einen Schluck und warf sie zurück.
„Schnall die Pistole ab", grunzte der Obergefreite, „man wäscht sich nicht mit umgeschnallter Pistole ..."
Zado kniff ein Auge in seinem Raubvogelgesicht zu und riet dem Obergefreiten: „Sauf nicht so viel. Wenn sie dich wieder einsetzen, wirst du keine sichere Hand haben."
„Pistole...", brummte der Mann. „Geladen und gesichert ... hi... ein Idiot... damit geht er baden..."
Das Mädchen war nicht mehr sehr jung. Eine von den Frauen, die niemand besaßen, der an ihnen interessiert war. Keine Familie, keinen Mann. Nur Soldaten.
Zado hatte ihr etwas zu essen mitgenommen. Ein paar Rationsbüchsen Mulifleisch, ein Brot in Zellophan, ein paar Dosen Ölsardinen. Alles aus der Offiziersküche. Zado war einer der wenigen, mit denen der Koch pokerte. Für solche Leute stand immer etwas herum. Zado ließ den Koch gewinnen. Wenn er mit dem Koch pokerte, betrachtete er es als persönliches Pech, einen Flash zu haben. Man mußte den Koch gewinnen lassen. Dann geriet er in Stimmung und rückte Sachen heraus, die knapp waren. Zigaretten und Schokakola waren mehr wert als ein paar lumpige Markscheine, die man verlor.
„Alles keine Soldaten mehr...", lallte der Obergefreite. Er setzte die Flasche an und trank wieder. Er war vor zwei Tagen vom Einsatz zurückgekommen. Die
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