Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Stunde der toten Augen

Die Stunde der toten Augen

Titel: Die Stunde der toten Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Thürk
Vom Netzwerk:
er einen Rundblick tun konnte. Aber hinter dem Posten war nichts weiter als dick verschneites lichtes Fichtengehölz. Nach einer Weile sah er, daß von dem „Pilz" ein schmaler Trampelpfad zwischen die Bäume führte. Er zog vorsichtig den Reißverschluß der Brusttasche auf und betrachtete die Karte. Es gab keinen Weg in dieser Gegend. Ein paar hundert Meter hinter der Stelle, wo der Posten stand, waren zwei große Kahlschläge verzeichnet, zwischen denen eine Straße verlief.
    Das kann nur eine von diesen schmalen Landstraßen sein, überlegte er. Vielleicht nicht einmal das, sondern so etwas wie ein Waldweg, der ein wenig breiter ist als gewöhnlich. Und weshalb steht der Posten nicht an dieser Straße, sondern hier? Er war unschlüssig. Außerdem verspürte er Hunger, und das Verlangen nach einer Zigarette quälte ihn. Er zog einen Riegel Schokolade aus der Tasche und schob ihn in den Mund. Ich muß hier verschwinden, sagte er sich, hier ist weiter nichts als dieser Posten. Ich muß an die Straße, und wenn es in dieser Gegend überhaupt ein Munitionslager gibt, dann werden Fahrzeuge auf der Straße sein und dort hinfahren.
    Langsam kroch er zurück. Er hatte die Maschinenpistole um den Hals gehängt und den Tragriemen so eng gezogen, daß die Waffe ganz dicht an seinem Körper lag. Als er weit genug von dem Posten entfernt war, daß er sich unbemerkt erheben konnte, nahm er sie in die Hand und bewegte sich weiter vorwärts. Aber er kam nicht weit, denn plötzlich hörte er Stimmen und sah, als er auf die Stimmen zukroch, daß wenige hundert Meter von dem Posten, den er zuerst entdeckt hatte, ein zweiter stand, der eben abgelöst wurde.
    Um die Mittagszeit etwa befand er sich endlich unweit der Straße zwischen den beiden großen Kahlschlägen. Aber er hätte die Fahrzeuge nicht zu hören brauchen, die hier einzeln oder in Kolonnen fuhren, denn bereits als er die Kette der Posten umging, hatte er dort, wo die Fichten dünner standen, das Lager erkannt.
    Es war ein großes, weit auseinander gezogenes Lager, das die beiden Kahlschläge rechts und links der Straße einbezog. Aber nirgendwo war über der Erde gebaut worden. Sie hatten vor dem Frost Gruben in der Erde angelegt, die nach oben mit Zweigen und Zeltbahnen abgedeckt waren. Nun hatte noch der Schnee alles zugedeckt, und es gab keine bessere Tarnung als diese weiße, unberührte Schneedecke. Selbst die Fotografie eines Nahaufklärers würde kaum Aufschluß darüber geben können, ob sich unter der Schicht der gefrorenen Kristalle eine militärische Anlage befand.
    Bindig hatte sich genau orientiert, wo die Posten standen. Sie waren in einer Kette dicht beieinander in einigem Abstand von dem Lager aufgestellt, und die Wachmannschaften waren in Erdbunkern untergebracht, deren Einstiege am Waldrand unter den ersten Fichten lagen. Lediglich die Straße war belebt. Dort hielten Fahrzeuge. Einmal kam eine Kolonne geschlossener Lastwagen. Aus den Erdbunkern krochen ein paar Gestalten und schleppten Kisten von den Wagen fort. Bindig sah, wie sie ihre Lasten in vorbereitete Gruben legten und sie mit Zeltplanen und Schnee bedeckten. Es war eins der Lager, die Munition für die Offensive speicherten. Bindig zerbrach sich den Kopf, wie der Divisionsstab erfahren habe, daß dieses Lager hier zu suchen sei.
    Es war jetzt nicht mehr so kalt wie in den Vormittagsstunden. Die Sonne war über Mittag hinaus, und stellenweise troff Schmelzwasser von den Bäumen. Aus dem Lager kamen Musikfetzen. Irgendwo mußte ein Radio spielen.
    Bindig hörte, daß gelegentlich eine Sopranstimme sang, aber er war zu weit entfernt, um die Worte zu verstehen.
    Eigentlich hatte er hier nichts mehr zu tun. Er hatte das Lager gefunden und wußte auch, wie weit es sich ausdehnte. Er war in der Lage, das genau auf der Karte, die sie ihm mitgegeben hatten, einzuzeichnen. Das Lager erstreckte sich über die Fläche der beiden Kahlschläge, und die Straße wurde nur von Fahrzeugen befahren, die im Lager zu tun hatten. Er schätzte, daß es sich um Artilleriemunition handelte. Die Kisten waren ziemlich groß, und sie mußten auch schwer sein, denn die Soldaten schafften sie auf kleinen Schlitten zu den Gruben, In die sie versenkt wurden.
    Eine primitive Art, Munition zu stapeln, überlegte Bindig. Aber er begriff, daß dieses Lager selbst bei genauer Kenntnis von der Luft her schwer zu vernichten war. Die Gruben lagen weit auseinander. Wenn eine Bombe zwischen sie fiel, konnte es sein, daß sie nur

Weitere Kostenlose Bücher