Die Stunde der toten Augen
ebensolche Uniformen trugen wie die Schläger damals in Gumbinnen.
Als die Gäste davon torkelten, war der Mann schon betrunken. Aber er trank mit den Knechten weiter, und sie grölten Lieder, die Anna nie gehört hatte. Sie schlich in die Schlafstube, aber sie fand keinen Schlaf, denn der Lärm drang bis zu ihr. Und als der Lärm zu Ende war, kam er.
Er nahm sie ohne Zärtlichkeit, grob und trunken. Er hauchte ihr den Schnapsdunst ins Gesicht und bereitete ihr Schmerzen. Aber sie verbiß den Schmerz und die Enttäuschung, und als alles vorüber war, zog sie ihm Hose und Stiefel aus.
Das war im Sommer, und im folgenden Frühling hatte sie eine Fehlgeburt. Er ließ sie nach Gumbinnen schaffen, und die Ärzte erklärten ihr, als sie aus der Klinik entlassen wurde, daß sie kein Kind mehr haben würde.
„Das habe ich nun von dir Judenhure!" begrüßte er sie, als sie nach Hause kam. Sie war noch schwach und hielt sich nur mühsam aufrecht. Aber er trieb sie in den Stall zu den Kühen, und sie arbeitete wie eine Magd.
„Jetzt habe ich einen Erbhof und keinen Erben", tobte er abends, „aber das geschieht mir recht! Was nehme ich auch so eine, die dieser Zahnjidd verdorben hat!"
Er soff Tag und Nacht. Ein paar Nächte duldete er sie noch neben sich, aber dann jagte er sie am Abend in die Küche und nahm die Großmagd zu sich.
Anna versuchte mit ihm zu reden. Er hörte sie nicht an. Sie schrie, und er schlug sie. Sie beschimpfte die Magd, aber da wurde er noch wütender. Als
sie ihm drohte, sich von ihm scheiden zu lassen, lachte er sie aus: „Das wage nur! Dann werd' ich deine Schweinereien mit dem Jidd anbringen! Sie werden dich zu ihm ins Lager sperren!"
Manchmal saß sie jetzt wieder an ihrem alten Platz bei den Weiden am Fluß. Aber sie sang nicht mehr. Und die Leute aus dem Dorf seufzten leise, wenn sie sie von weitem sitzen sahen.
Als sie ihn zum Militär eingezogen hatten, erwachte ihre alte Kraft wieder. Zuerst entließ sie die Magd und dann einen Knecht nach dem anderen. Sie behielt nur zwei Knechte, und mit ihnen schaffte sie die ganze Arbeit. Der Hof brachte wieder etwas ein. Sie zog mehr Vieh auf als früher. Die Leute im Dorf nickten mit den Köpfen.
Er erfuhr, daß sie die Magd entlassen hatte, und da schrieb er ihr, daß er eines Tages heimkommen werde. Sie solle einstweilen ihre Koffer packen,
und wenn der Jude noch am Leben sein sollte, dann werde er dafür sorgen, daß man sie zu ihm sperre. Das war einen Monat bevor die Nachricht von der Kompanie kam, er wäre in heldenhafter Pflichterfüllung gefallen. Und einen Monat später kam der Mann der Nachbarin auf Urlaub und erzählte ihr die Sache von dem Lastwagen mit dem Wein.
Die Nacht bevor die Rote Armee das Dorf eroberte, war eine der unruhigsten Nächte, die das Dorf jemals erlebt hatte. Es blieb niemand auf
seinem Anwesen. Mit vollgepackten Leiterwagen verließen die Bauern ihre Höfe. Die beiden Knechte Annas waren längst fort, als der Parteibonze aus dem Dorf in aller Eile bei Anna erschien und ihr riet, schnell zu packen.
„Die Russen sind wie die Teufel! Sie werden hier einbrechen wie die Sintflut!"
Anna sagte nichts. Sie kannte die Russen nicht, aber der Parteibonze hatte die gleiche Uniform an wie die in Gumbinnen.
„Sie werden keinen Stein auf dem anderen lassen!"
Anna blickte zu Boden und erinnerte sich daran, daß der Mann damals mitgetrunken hatte, als sie Hochzeit feierten.
„Und dann die Frauen ...", flüsterte der Mann. Er kam vertraulich näher und legte ihr die Hand auf die Schulter. Er hatte ein faltiges, bräunliches Gesicht, und seine Zähne waren schwarz vom Tabak. Es stank, wenn er den Mund aufmachte. Er betrachtete Anna mit Augen, die mehr sagten als sein stinkender Mund. „Sie sind zu schade dafür ...", flüsterte er. „Sie sind eine tapfere Frau. Ich bewundere Sie schon lange, wie Sie den Hof in Ordnung gehalten haben. Ist es Ihnen eigentlich nie einsam gewesen, so ganz ohne Mann?"
Er kniff ein Auge zu, und sie sah, daß seine Adern am Kopf angeschwollen waren.
„Ich habe bereits in einem Dorf weit im Westen Quartier gemacht", flüsterte er. „Sie können ruhig..."
Sie nahm langsam seine Hand von ihrer Schulter. Sie spürte, daß diese Hand feucht von Schweiß war.
„Es wird gut sein, wenn Sie jetzt gehen", sagte sie ruhig, „ich habe noch eine Menge zu tun."
ja, wollen Sie denn nicht..."
„Ich weiß nicht. Ich werde es mir überlegen", antwortete sie ihm.
Als die Truppen, die das Dorf
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