Die Stunde der Zaem
Jeden Streich ahnte er im voraus und parierte, ehe sie ihn ernsthaft gefährden konnten.
Weder das Klirren der Schwerter noch Keuchen, Stampfen oder Stöhnen war zu vernehmen. Bedrückend legte die Stille sich aufs Gemüt.
Je länger Gerrek versuchte, seine Widersacher mit der Waffe zu besiegen, desto größer wurde ihre Übermacht. Schon hatte er es mit sieben Gegnern zu tun, die ihn in die Enge trieben.
Und wo war Scida? Weshalb kam sie nicht, um ihm beizustehen?
Gerrek war dem Ende seiner Kräfte nahe. Mit beiden Händen schwang er jetzt das Schwert, konnte es anders nicht mehr führen.
Seine Gegner spielten mit ihm, hetzten ihn, ließen ihm keine Zeit zum Verschnaufen. Überall waren sie - vor ihm, hinter ihm… Sie griffen jedoch nicht gemeinsam an. Von rechts ein Stoß, den Gerrek mit dem Heft abwehrte, von links ein abwärts geführter heftiger Hieb, dem er nur um Haaresbreite entging, dann ein Streich, der auf seine Beine zielte.
Dies war ein wahrhaft dämonisches Spiel, das er niemals gewinnen konnte. Er torkelte. Alles verschwamm vor seinen Augen zu einem Konglomerat aus Hell und Dunkel, Licht und Schatten.
Es war so sinnlos… Von einem Moment zum anderen ließ Gerrek die Arme sinken. Regungslos verharrte er und hatte doch das Gefühl, in einem rasenden Wirbel gefangen zu sein, der ihn mit sich riß. Er besaß nicht mehr die Kraft, dagegen anzukämpfen. Düsternis umfing ihn, ergriff Besitz von seinen Gedanken.
War da nicht eine Hand - seltsam bleich und knöchern? Sie berührte die seine, und ihn schauderte, denn eisige Kälte strömte auf ihn über. Die Kälte des nahen Todes.
4.
Zielstrebig waren Riis Schritte. Die Maid zögerte nicht mehr. Hin und wieder streiften ihre Blicke den Sohn des Kometen, und Bewunderung lag in ihnen verborgen.
Mythor bemerkte es wohl, wenngleich er dazu schwieg. Indes berührte jede dieser stummen Gesten ihn seltsam. Sie sagten mehr, als Worte es vermocht hätten; sie bewiesen auch, daß Rii durchaus der Empfindungen einer Frau fähig war.
Jede ihrer Bewegungen, ihr Gang, die Haltung ihres Körpers - alles erinnerte Mythor an Fronja, obwohl er der Tochter des Kometen nie gegenübergestanden hatte. So waren seine Träume von ihr; Träume, die er selbst gebar, die ihm Hoffnung gaben und gleichzeitig Sehnsüchte weckten, die nur ein Ziel kannten: Fronja neben sich zu haben und Seite an Seite mit ihr das Geheimnis seiner (und vielleicht auch ihrer) Herkunft zu ergründen.
Rii führte Mythor durch unüberschaubare Gänge, die ihm vorkamen, als wären sie mitunter sogar ineinander verschlungen. Er wußte, daß die Lichtinsel nur einhundert Schritte durchmaß, wie jeder der Kreise des Regenbogendoms auch, trotzdem schien es ihm, als würde dieser Weg noch lange nicht enden. Dabei mochten es die Anspannung sein und die Angst, Dinge zu sehen, die ihm nicht gefielen, welche die Ungeduld in ihm nährten.
Reines, weißes Licht umgab ihn. Wenn er die Hände ausstreckte, um die Wände zu berühren, fühlte er harten Widerstand.
Zweifellos konnte die Lichtinsel Bestand haben für die Ewigkeit - vielleicht gerade deshalb, weil sie in ständiger Umwandlung begriffen war. Mythors Überlegungen gingen dahin, in ihr ein Bauwerk zu sehen, das der Lichtbote dereinst als Bollwerk gegen die Finsternis geschaffen hatte. Denn daß dies alles das Werk von Zaubermüttern und Hexen sein sollte, schien unwahrscheinlich. Gab es demnach auch in Gorgan ein ähnliches Land, das man den Nordstern nannte, und das ebenfalls eine Lichtinsel barg? Mythor bedauerte es, die Nordwelt nicht besser kennengelernt zu haben, andererseits hatte er in nunmehr erst zwei Jahren mehr erlebt und zu sehen bekommen als selbst Krieger in einem ganzen Leben. Was vorher gewesen war, in der Nomadenstadt Churkuuhl, das zählte kaum.
»Ist es noch weit?«
Erst als Rii unvermittelt stehenblieb und leicht den Kopf schüttelte, bemerkte der Sohn des Kometen, daß er laut gesprochen hatte.
Die Maid war schön - eine Verkörperung Fronjas. Als sie sich ihm zuwandte, fühlte er abermals die Versuchung, sie in seine Arme zu nehmen. Doch er tat es nicht.
Die Helligkeit ringsum war nicht vollkommen. Feine Dunstschleier zeichneten einen milchigen Schimmer. Immer wieder schienen irgendwo Lichter aufzuflammen, zu wachsen und schließlich verwehend zu erlöschen; Lichter, die aus dieser Atmosphäre heraus entstanden.
Rii schritt nun zaghaft aus. Sie hielt sich mehr an Mythors Seite. Ihre Haltung zeigte angespannte Erwartung.
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