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Die Stunde der Zikaden

Die Stunde der Zikaden

Titel: Die Stunde der Zikaden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felicitas Mayall
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«Das hatte ich nicht erwartet.»
    Laura sah zu, wie goldbraune Schlieren von den Teeblättern aufstiegen und allmählich das Wasser färbten.
    «Dann machen wir weiter, nicht wahr? Ich wollte sowieso nicht nach Rom!»
    Wir hätten jetzt in Gelächter ausbrechen können, dachte Laura, aber irgendwie geht es nicht. Sie nahm Guerrinis Gesicht in beide Hände und küsste ihn sanft, fürchtete plötzlich, etwas zuzudecken mit ihren Berührungen.
    «Ja, lass uns weitermachen», murmelte er, drehte sich weg und füllte Tee in ihre Tassen.
     
    Guerrini wollte mit Tuttoverde telefonieren, und Laura hatte keine Lust auf ein großes Frühstück. Sie nahm sich einen Apfel und lief zum Kanal hinunter, vorüber am befleckten Lancia. Ihren Reisepass hatte sie mitgenommen, denn sie rechnete damit, erneut von irgendwelchen Polizisten kontrolliert zu werden, die überall im Resort unterwegs waren. Es duftete nach Pinien, Eukalyptus und bitteren Kräutern. Der sandige Weg war feucht, vielleicht hatte es in den Morgenstunden geregnet, vielleicht war es aber nur Tau. Laura hatte ein Ziel. Obwohl sie ohne eine bestimmte Vorstellung das Haus verlassen hatte, wusste sie bereits nach ein paar Metern, wohin sie gehen wollte. Nicht zu Ruben oder den beiden Schweizern. Nein, sie wollte endlich wissen, wer dieser Alberto Ferruccio war und ob er eine Verbindung mit dem afrikanischen Händler hatte. Auf der anderen Seite des kleinen Flusses parkten zwei Einsatzwagen der Carabinieri. Zwei junge Soldaten wachten bei den Fahrzeugen, schauten zu ihr herüber und bedeuteten ihr zu warten. Als sie über die kleine Brücke zu ihr kamen, streckte sie ihnen den Pass entgegen.
    «Euer Einsatzleiter hatte bereits ein langes Gespräch mit mir. Ist es erlaubt, einen Spaziergang zu machen, oder müssen wir Bewohner von Il Bosco in den Häusern bleiben?»
    «Keine Ahnung, Signora. Da gibt es keine besonderen Anweisungen. Machen Sie ruhig Ihren Spaziergang. Kann aber sein, dass Sie noch ein paarmal kontrolliert werden.»
    Laura hatte Glück und erreichte Ferruccios Haus ohne weitere Begegnung mit Polizisten. Aber sie konnte sehen, dass bei den Schweizern eine Gruppe von Carabinieri herumstand. Als sie sich der Eingangstür zu dem niedrigen Natursteinbau näherte, schlug drinnen ein Hund an, hoch, mit langgezogenem Heulen. Es gab eine Klingel und einen Türklopfer. Doch ehe Laura sich für eins von beiden entschieden hatte, wurde die Tür geöffnet.
    «Kann ich etwas für Sie tun, Signora?» Ferruccios Stimme war ein bisschen brüchig, er räusperte sich und rief den heulenden Hund zur Ordnung. Er hielt ihn am Halsband fest und stand gebückt vor Laura, klein, mit eingefallenen Wangen, scharfer Nase und freundlichen aufmerksamen Augen. Sein Haar war dünn und weiß, seine Hände schmal, mit ausgeprägten Adern auf dem Rücken.
    «Ah, Bruno! Benimm dich! Kommen Sie herein, Signora. Solange Sie vor der Tür stehen, wird er sich nicht beruhigen.»
    Ferruccio gab die Tür frei, Laura trat ein, und tatsächlich hörte Bruno auf zu heulen. Er wedelte beinahe entschuldigend und beschnupperte Lauras Schuhe. Er war klein, grau, mit spitzer Schauze und passte zu Ferruccio wie ein Bruder. Als Laura sich umsah, fiel ihr Blick auf einen gerahmten Spruch gegenüber der Haustür:
Alles stößt einem
früher oder später zu,
wenn genügend Zeit
vorhanden ist.
 
George Bernard Shaw
    Alberto Ferruccio hatte sie beobachtet und lächelte. «Das ist eine der witzigsten Weisheiten, die es gibt. Ich liebe Shaw. Kennen Sie ihn, Signora? Seine Theaterstücke sind nicht unbedingt alle genial, aber seine Briefe und seine Aphorismen haben es in sich.»
    «Allerdings! Zum Beispiel: In irgendeiner Gefahr schwebt man immer. Glauben Sie, dass es sich lohnt, sich darum zu kümmern?»
    Ferruccio lächelte und neigte den Kopf ein wenig zur Seite. «Kommen Sie ins Wohnzimmer, Signora, und erzählen Sie mir, woher Sie Shaw kennen. In diesem Land gibt es nicht viele Menschen, die ihn zitieren können. Und dann würde mich interessieren, warum Sie ausgerechnet dieses Zitat gewählt haben.»
    Orientalische Teppiche auf sienabraunen Bodenfliesen, Bücherregale, antike Schränke und drei Sofas mit Leselampen. Gemälde von Ölbäumen an den Wänden und zum Garten hin nur Glas, üppige Pflanzen drinnen wie draußen.
    «Setzen Sie sich, Signora, und sagen Sie mir ganz offen, ob Ihr Zitat von Shaw etwas mit mir zu tun hat. Eine Warnung vielleicht?»
    Laura schüttelte den Kopf, streckte dem alten Dichter

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