Die Stunde der Zikaden
der berühmten Verschwörungstheorien unseres wunderbaren Landes.»
«Du bist doch ein Zyniker!»
«Beh, Laura! Ich bin Seneser! Die italienische Geschichte ist eine einzige Verschwörung, und im Augenblick ist es besonders schlimm.»
«An welcher bist du beteiligt? Ich meine im Augenblick!»
Guerrini lachte trocken auf, löste das Badetuch von seinen Hüften und rubbelte sein Haar damit.
«Also an welcher?» Laura ließ nicht locker.
«Wer ist hier Zyniker, du oder ich?»
«Das ist keine Antwort!»
«Ah, ich weiß es nicht. Ich habe keine Theorie, höchstens Befürchtungen, Ahnungen. Gehen wir zurück zum Haus, sonst erfrieren wir noch. Ich brauche jetzt eine heiße Dusche!»
Laura antwortete nicht, schlug vor ihm den schmalen Pfad durch die Büsche ein und sah deshalb als Erste die Polizisten vor dem Haus.
«Wir werden erwartet, Angelo. Wappne dich!»
Sie waren sehr höflich und hatten nichts dagegen, dass Laura und Angelo sich anzogen, bevor sie ihre Fragen beantworteten.
«Ich würde ja nie im Oktober schwimmen gehen», lächelte der Anführer der kleinen Truppe, ein Carabiniere im Rang eines Offiziers.
«Es ist sehr erfrischend», gab Laura zurück, aber er schüttelte zweifelnd den Kopf.
Während sie schnell in ihre Kleider schlüpfte, bestand Guerrini auf seiner heißen Dusche und verschwand im Badezimmer. Das zog nach sich, dass Laura allein die ersten Fragen beantworten musste. Ob sie zum ersten Mal oder schon öfter hier gewesen sei, ob sie Orecchio kenne, wann sie angekommen sei, und warum sie überhaupt hier sei, wann sie wieder abreisen wolle und ob man den Ausweis sehen könne. Laura hätte sich all die Fragen selbst stellen können, es war reine Routine. Irgendwann dachte sie, dass sie vielleicht doch ihren Polizeiausweis zeigen sollte, aber sie ließ es bleiben. Ihr war so, als verteidigte sie mit dem Verschweigen ihres Berufs ein Stück Freiheit.
Der Carabiniere war nicht unsympathisch, ein Mann um die vierzig mit erstaunlich grauen Haaren, die er sehr kurz trug, und einem sehr gepflegten, schmalen Schnurrbart. Mit längeren Haaren würde er besser aussehen, dachte Laura.
«Sie haben dieses Haus gemietet?»
«Ja.»
«Von wem?»
«Von Conte Enrico di Colalto.»
«Was kostet es?»
«Weshalb wollen Sie das wissen?»
«Weil es mich interessiert.»
«Ich weiß es nicht. Mein Partner hat es gemietet.»
«Was haben Sie für einen Beruf?»
Beinahe hätte Laura Meeresbiologin gesagt, entschloss sich stattdessen zu einer Gegenfrage.
«Muss ich das wirklich beantworten?»
«Nein, eigentlich nicht. Sie müssen das erst beantworten, wenn ein konkreter Verdacht besteht.»
«Danke für diese Rechtsbelehrung. Welcher Verdacht?»
«Darüber kann ich keine Auskunft geben, Signora.»
Laura zuckte die Achseln.
«Kennen Sie den Wärter Orecchio?»
«Ich habe ihn einmal gesehen.»
«Wissen Sie, dass er vermisst wird?»
«Ja, der Wärter Fabrizio hat es uns erzählt.»
«Könnte es sein, dass Sie und Ihr Partner Orecchios Mutter besucht haben und sich als Privatdetektive des Resorts ausgegeben haben?»
«Un’ attimo!» Guerrini kam langsam die Wendeltreppe herab. «Was war denn das für eine Frage?»
«Soll ich sie wiederholen?»
«Per favore, collega!» Guerrini hielt dem Carabiniere seinen Dienstausweis hin. Der nahm ihn entgegen, betrachtete ihn lange und dachte so sichtbar nach, dass Laura ein Lächeln nicht unterdrücken konnte. Endlich reichte er Guerrini die Plastikkarte zurück und seufzte.
«Es wird immer komplizierter. Was machen Sie denn hier, Commissario?»
«Urlaub.»
«Aber warum passieren so seltsame Dinge hier, wenn Sie Urlaub machen? Ich meine, es gab hier noch nie Schwierigkeiten.»
«Tja, es tut mir leid. Wir können ja abreisen. Vielleicht wird es dann wieder ruhiger.»
Der Carabiniere strich mit einer nervösen Bewegung über sein Haar, zog dabei ein bisschen die Schultern hoch und drehte den Nacken, als wollte er eine Verspannung lösen, deshalb setzte Guerrini nach.
«Was ist denn der tiefere Sinn dieser Aktion? Sucht ihr Orecchio, oder gibt es noch einen anderen Grund?»
«Natürlich suchen wir Orecchio. Aber wir haben Nachrichtensperre. Ich darf auch Ihnen nichts sagen, Commissario. Das könnte höchstens der Maresciallo.»
«Bene, das seh ich ein. Gibt’s noch was?»
«Waren Sie bei der Signora Orecchio oder nicht?», fragte er schließlich.
«Ja, wir waren dort. Ganz einfach, weil der Wärter Fabrizio uns darum gebeten hatte. Er machte sich Sorgen
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