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Die Stunde der Zikaden

Die Stunde der Zikaden

Titel: Die Stunde der Zikaden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felicitas Mayall
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Zustand zurückgelassen, der ihm wie kaum wahrnehmbarer Zahnschmerz erschien, ein inneres Ziehen. Er überlegte, wo dieses Ziehen seinen Ursprung haben könnte, oder ob es vielleicht eine Täuschung war, ein Phantomschmerz. Ganz entgegen seinen sonstigen Gewohnheiten schenkte Guerrini sich ein Glas Grappa ein, um diesen Schmerz zu betäuben. Bei Zahnschmerzen half das Spülen mit Grappa. Diesmal half es nicht.
    Er hatte Tuttoverde von dem Toten am Strand erzählt, von den Ahnungen, Befürchtungen, die ihn seit Tagen beschäftigten. Er kannte das Risiko und nahm es in Kauf. Der Kollege hatte zugehört und nach langem Schweigen gesagt, dass er den Mund halten und die Sache vergessen solle.
    «Und warum?», hatte Guerrini gefragt.
    «Weil wir kurz davor stehen, die Ermittlungen in dieser Angelegenheit einzustellen. Und frag verdammt nochmal nicht, warum, Guerrini!»
    «Ach, es läuft bei euch genauso wie bei uns? Mir wurde neulich ganz diplomatisch beigebracht, dass ich mich nicht länger um die China-Mafia kümmern soll, die offensichtlich unsere Modebranche in der Hand hat. Dabei hatte ein deutscher Schriftsteller uns die ganze Ermittlungsarbeit abgenommen, und wir mussten nur noch weitermachen. Noch dazu starb dieser Schriftsteller unter höchst verdächtigen Umständen. Aber auf einmal hieß es: Da ist nichts dran. Ermittlungen einstellen!»
    «Und warum?»
    «Du fragst, obwohl ich nicht fragen darf? Soll ich dir sagen, warum? Aus genau dem Grund, den du mir nicht nennen kannst, Ignazio!»
    «Scheiße!»
    «Ja, Scheiße! Da helfen auch deine achthundert Mann Spezialeinheit nichts, was?»
    «Hör auf!»
    «Wenn du willst. Gibt’s irgendwas, das ich unbedingt wissen sollte?»
    «Wir haben einen verdeckten Ermittler in der Gegend.»
    «Dachte ich mir. Wen?»
    «Ich kann es dir nicht sagen, Angelo. Aus zwei Gründen: um weder ihn noch dich zu gefährden! Wir wussten übrigens längst von dem Toten am Strand. Ich habe sogar Fotos von deiner Freundin, wie sie die Leiche untersucht. Außerdem habe ich Fotos von den Leuten, die ihn weggeschafft haben. Sie haben ihn mit einem Motorboot wieder raus aufs Meer gezogen und dann vermutlich versenkt. Diesmal gründlicher.»
    «Wer war’s? Die Schweizer?»
    «Ich will nicht, dass du dich da einmischst!»
    «Was also soll ich tun?»
    «Gar nichts! Und halt deine deutsche Freundin zurück. Sie scheint sich sehr für die Sache zu interessieren. Fahrt weg! Nach Rom oder sonst wohin!»
    «Sie will nicht nach Rom.» Es sollte ein Scherz sein, doch er kam nicht an. Wie sollte er auch. Tuttoverde wusste ja nichts von ihren ständigen Diskussionen um Rom.
    «Dann fahrt nach Florenz, Venedig, zum Mond, verdammt nochmal!» Tuttoverde hatte das Gespräch beendet. Dann kam das Zahnschmerzziehen wieder.
    Kurz darauf, Guerrini hatte sich inzwischen auf die Dachterrasse gesetzt, um nachzudenken, meldete Fabrizio, dass die Carabinieri wieder abgezogen seien. Dem Himmel sei Dank! Aber verstehen könne er es nicht. Erst so ein Aufwand und dann, nach zwei Stunden: Abzug! Orecchio hätten sie auch nicht gefunden! Außerdem könne man in zwei Stunden unmöglich das ganze Resort gründlich durchsuchen!
    «Was hast du gedacht, als sie abzogen, Fabrizio?»
    «Was ich gedacht habe, Dottore? Ich habe gedacht, dass die nicht weitersuchen dürfen. Das hab ich gedacht!»
    «Kluger Fabrizio!»
    «Aber wieso, Dottore? Wieso dürfen die nicht weitersuchen?»
    «Keine Ahnung, Fabrizio. Irgendwer wird den Maresciallo angerufen haben.»
    Fabrizio starrte düster auf den Boden.
    «Irgendwer», murmelte er. «Irgendwer, so läuft das immer bei uns, nicht wahr? Sie haben völlig recht, Dottore.» Er schien in seinen Überlegungen zu versinken, stand eine Weile stumm da und fuhr dann plötzlich auf.
    «Sie auch, Dottore? Machen Sie auch nicht weiter?»
    «Doch, Fabrizio. Ich mache weiter. Mich hat ja keiner angerufen.»
    Es stimmt nicht, dachte Guerrini. Natürlich hat mir jemand am Telefon gesagt, dass ich die Sache vergessen solle. Es ist noch nicht mal zehn Minuten her. Das Zahnschmerzziehen wurde stärker.
    «Wenn Sie Hilfe brauchen, Dottore, ich bin da! Ich hab Ihnen die Nummer von meinem Telefonino aufgeschrieben. Es ist immer eingeschaltet, immer!» Er streckte Guerrini einen Zettel hin.
    «Danke, Fabrizio. Hast du eigentlich nie gemerkt, dass Orecchio irgendwelche Nebengeschäfte machte?»
    «Nie, Dottore, nie!»
    «Es sieht so aus, als wäre der weiße Lieferwagen auf dem Weg zum Resort gewesen.

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