Die Stunde des Fremden
rauchte eine Zigarette. Ein schäbiger Bursche schlängelte sich an ihn heran und bot ihm amerikanische Zigaretten an, hundert Lire unter Preis. Ashley winkte ab. Höchstwahrscheinlich waren sie in einer neapolitanischen Hinterhoffabrik hergestellt – aus Kippen, die Bettler von der Straße aufgelesen hatten.
Ein altes Weib hielt ihm almosenheischend eine schmutzige, verarbeitete Hand unter die Nase. Er gab der Alten eine Handvoll Münzen, worauf sie den Segen Gottes, der Heiligen Jungfrau und der achtundzwanzig Schutzheiligen von Sorrent auf ihn herabflehte.
Ein optimistischer Straßenhändler versuchte Ashley einen Strohhut zu verkaufen. Ein kleines Schulmädchen wollte ihm ein Los andrehen. Ein Restaurantportier bot ihm an, seine Dollars einzuwechseln. Dann entdeckte er Roberto, den Barkeeper.
Er kam mit gesenktem Kopf von der Tankstelle her eilig über den Platz, wie ein Mann, der sich zur Arbeit verspätet hat. Ashley behielt ihn im Auge, und als er – scheinbar ohne ihn zu bemerken – durch das Tor zum Hotelgarten kam, ging Ashley neben ihm her.
»Guten Tag, Roberto!«
Der Barkeeper sah erschrocken auf und murmelte einen Gruß. Er beschleunigte seine Schritte, doch Ashley packte ihn am Handgelenk und zog ihn vom Fußweg fort zwischen die Palmen – zu einem schattigen, verborgenen Platz mit einer winzigen Pergola, wo nachmittags mittelalterliche Touristen Zuflucht vor der Sonne suchten und Fruchtsäfte tranken. Roberto suchte sich loszureißen, doch hielt Ashley sein Handgelenk wie im Schraubstock fest. Roberto warf ängstliche Blicke auf ihn.
»Signore, ich bitte Sie … um der Liebe Gottes willen! Ich komme sowieso schon zu spät zur Arbeit. Bitte, was wollen Sie denn von mir?«
Ashley drehte seinen Arm herum und packte ihn mit der freien Hand unter dem Kinn. Roberto schnappte zappelnd nach Luft. Der Schmerz war zu groß. Zitternd und schwitzend gab er es auf, sich zu wehren.
»Wenn Sie noch einmal aufmucken«, sagte Ashley, »werde ich Ihnen den Arm ausrenken.«
»Capito.« In seiner Stimme war nacktes Entsetzen.
»Sie haben mir gestern eine Nachricht übermittelt, Roberto: Ich solle nehmen, was mir angeboten würde, ohne dem Mann, der es mir anbot, zu trauen. Ich habe Ihnen fünftausend Lire dafür bezahlt. Jetzt will ich mehr wissen. Wer hat Ihnen den Auftrag gegeben?«
Roberto zitterte vor Furcht.
»Wer gab Ihnen die Nachricht?«
»Ich – ich kenne den Mann nicht, Signore.«
»Du lügst!« Ashley drehte den Arm ein Stück. Roberto schnappte wimmernd nach Luft. Der Amerikaner schämte sich seiner Brutalität, doch ging es um sein Leben. Er hatte keine Zeit für kleinliche Rücksichten. »Wer war der Mann? Wie hieß er?«
»Er – er hat keinen Namen gesagt, Signore. Ich hab' ihn noch nie gesehen. Vielleicht war er aus Neapel. Er gab mir die Mitteilung und einen Umschlag mit zehntausend Lire.«
»Und weiter?«
»Außerdem … außerdem nannte er mir eine Telefonnummer.«
»Welche?« In seiner Aufregung drehte Ashley Robertos Arm so weit, daß der Barkeeper einen hohen, tierischen Schrei ausstieß.
»Bitte, Signore, bitte! Sie töten mich! Ich versuche ja, es Ihnen zu sagen!«
»Also los, die Telefonnummer!«
»Es … es war die Nummer, die ich anrufen sollte, wenn Sie das Hotel verließen. Ich sollte sagen, wann und mit wem Sie gingen. Ich sollte auch sagen, wohin, falls ich es wußte.«
»Und das haben Sie gemacht?«
»Jawohl. Signore.«
»Wann?«
»Nachdem Sie mit Ihrer Hoheit, der Herzogin, gegangen waren.«
»Was war die Nummer?«
»Ich … ich habe sie vergessen, Signore.«
»Erinnern Sie sich!«
»Es war – Sorrento sechs – dreiundsiebzig.«
»Sonst noch was?«
»Nein, Signore! Nichts! Weiter war nichts. Ich schwöre es bei den Knochen meiner Mutter und beim Grab meines Vaters!«
»Warum hat er Ihnen wohl eine Nachricht gegeben, die überhaupt nichts besagt?«
»Ich … ich weiß nicht, Signore.«
»Raten Sie!«
»Um … um Streit zu säen. Und Misstrauen.«
»Um einen Streit vom Zaun zu brechen?«
»Ja.«
»Den Sie dann ebenfalls der gleichen Nummer berichten sollten?«
»Jawohl, Signore.«
»Wenn du lügst, Roberto …«
»Erbarmen. Signore! Ich habe die Wahrheit gesagt, ich schwöre, ich habe die Wahrheit gesagt!«
Ashley ließ ihn los und sah ihm nach, wie er fortrannte und im Laufen seinen Hals und seinen Arm massierte.
Der Reporter strich seine Jacke glatt, zog seine Krawatte gerade und ging nachdenklich zum Platz zurück, an der
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