Die Stunde des Jägers - EXOCET
hatte, war er mit dem Grundriß des Buckingham-Palasts gründlich vertraut und lief nun zielbewußt durch ein Labyrinth von Korridoren, in denen sich, genau wie er vermutet hatte, um diese Zeit kein Mensch aufhielt. Nach fünf Minuten hatte er das Ende des Flurs zu den Privatgemächern erreicht. Die Wohnung der Königin war jetzt nur noch ein paar Meter entfernt, ein Speisezimmer, an das sich, wie er wußte, ein Salon und das Schlafzimmer anschlossen. Etwas 5
weiter, hinter der Ecke, lag der Raum, in dem die Corgis, ihre Hunde, schliefen. Gegenüber war das Pagenvestibül, in dem ein Konstabler saß und ein Taschenbuch las.
Villiers musterte ihn einen Moment, ging dann den Korridor zurück und holte das Funkgerät aus der Tasche, das er dem Polizisten im Park abgenommen hatte. Er drückte den Knopf für den vierten Kanal und wartete.
Es knackte leise. Eine Stimme sagte: »Hier Jones.«
Villiers antwortete gedämpft: »Sicherheitsbüro. Der Alarm in der Gemäldegalerie scheint wieder losgegangen zu sein. Wir bekommen ein Signal, allerdings mit Unterbrechungen. Könnten Sie mal nachsehen?«
»Okay«, sagte Jones.
Villiers ging wieder zur Ecke des Korridors und sah, wie der Konstabler sich in die andere Richtung entfernte. Er bog um eine Ecke und verschwand. Villiers huschte zur Tür der Königinsuite, hielt kurz inne, holte tief Luft und öffnete sie.
Ihre Majestät, Königin Elisabeth II. saß mit einem Buch am Kamin ihres behaglich eingerichteten Wohnraums. Trotz der frühen Stunde war sie sorgfältig frisiert und zurechtgemacht; sie trug einen hellblauen Twinset und einen Tweedrock und hatte eine Perlenkette um. Die Eingangstür knarrte kaum hörbar, und sie hob den Kopf. Die Tür ging auf, Villiers trat ein und machte hinter sich zu.
In seiner schwarzen Montur und mit der Mütze, die nur die Augen frei ließ, sah er außerordentlich bedrohlich aus. Einen Moment lang sagte keiner der beiden etwas, dann langte er nach oben und zog sich die Kapuze vom Kopf.
»Oh, Major Villiers«, sagte die Königin. »War es schwierig?«
»Ich fürchte, nein, Ma’am.«
Die Königin runzelte die Stirn. »Ich verstehe. Nun, wir machen am besten gleich weiter. Ich nehme an, Sie haben nicht
6
viel Zeit?«
»Sehr wenig, Ma’am.«
Sie griff nach einer Zeitung und hielt sie in die Höhe. »Der Standard von gestern abend, genügt das?«
»Ich denke, ja, Ma’am.«
Villiers nahm eine Polaroid-Kamera aus der Tasche, trat näher und ging auf ein Knie. Die Königin hob die Zeitung, er knipste, und wenige Sekunden nach dem Blitz glitt die Aufnahme aus der Kamera. Er ging an den Kamin und hielt das Foto dicht an die Flammen. Ihr Gesicht zeichnete sich ab.
»Ausgezeichnet, Ma’am.« Er hielt ihr das Bild hin.
»Sehr schön, und nun gehen Sie am besten. Lassen Sie sich nicht erwischen, sonst wäre alles umsonst gewesen.«
Villiers zog sich wieder die Mütze über den Kopf und verbeugte sich leicht. Die Tür fiel hinter ihm ins Schloß, und er war fort. Die Königin blieb sitzen und überlegte kurz, ob sie wieder zu Bett gehen sollte oder nicht. Regen trommelte an die Scheiben. Sie fröstelte, nahm das Buch und setzte die Lektüre fort.
Zehn Minuten später kam Tony Villiers wie ein schwarzes Gespenst über die Mauer geklettert und sprang auf das Dach des Fernmeldewagens.
»Los, Harvey«, flüsterte er, als er die Luke öffnete und sich auf die Werkbank fallen ließ.
Jackson war augenblicklich zum Einstiegsloch hinaus, öffnete die Laderaumtür, reichte die Stellwände, das Warnschild und die Lampe hinein und schloß die Tür. Villiers hörte, wie er den Deckel des Einstiegs zuknallte und um den Wagen herum zum Fahrerhaus lief. Er nahm die Mütze ab, schraubte eine Dose mit Abschminkcreme auf und fing an, sein Gesicht zu bearbeiten. Einen Augenblick später fuhren sie davon.
1972, als der internationale Terrorismus epidemische Ausmaße angenommen hatte, genehmigte der Leiter des britischen
7
Geheimdienstes DI 5 die Bildung einer internen Sonderdienststelle, die den Namen Gruppe Vier bekam und aufgrund einer Ermächtigung des Premierministers fortan sämtliche Fälle von Terrorismus, Subversion und dergleichen bearbeitete.
Brigadier Charles Ferguson, der diese Dienststelle seitdem leitete, war ein großer, leutselig wirkender Herr, dessen zerknitterte Anzüge immer eine Nummer zu groß zu sein schienen. Seine Krawatte mit den Gardestreifen war das
Weitere Kostenlose Bücher