Die Stunde des Jägers - EXOCET
langt’s.« Er wandte sich zu dem Jungen, packte ihn mit der gesunden Hand an der Schulter, und sie entfernten sich auf unsicheren Beinen.
»Blutige Amateure«, sagte Jackson. »Wir hätten es wissen sollen.«
Aber Villiers hatte sich schon abgewandt und ging mit ge
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senktem Kopf sehr schnell den Hügel hinunter zur Straße.
Die Wohnung in der Avenue Victor Hugo war groß und sonnig, hohe Decken, raumhohe Fenster. Die Dekoration war schlicht, teuer und geschmackvoll, Vorhänge vom hellsten Grün, unaufdringlich und beruhigend, und an den weißgetünchten Wänden einige farbenfrohe impressionistische Gemälde.
Montera saß an einem Ende einer riesigen grünen, in den Boden eingelassenen Marmorbadewanne, und sie kam nackt, ein Tablett mit zwei Porzellanbechern Tee tragend, aus der Küche. Sie gab ihm einen Becher, stieg in die Wanne und setzte sich ans andere Ende.
»Auf uns«, sagte er, den Becher hebend.
»Auf uns.«
Fürs erste konnte sie die verfahrene Lage noch vergessen, in der sie sich befand, und nur an den gegenwärtigen Moment denken, an die Tatsache, daß sie zusammen waren.
Er lehnte sich in dem heißen Wasser zurück und nahm einen Schluck. »Haben wir das nicht schon mal irgendwo getan?«
Sie runzelte die Stirn und fuhr mit einem Finger eine häßliche, erst halb verheilte, gut fünfzehn Zentimeter lange Narbe unter seiner rechten Schulter entlang.
»Was ist passiert?«
»Granatsplitter. Ich hatte an jenem Tag Glück.«
Wieder mußte sie Unkenntnis heucheln. »Du meinst, du bist geflogen? Bei den Falklandinseln?«
»Malwinen.« Er grinste. »Vergiß das bitte nicht. Ja, es stimmt, ich flog einen Skyhawk-Bomber namens Gabrielle. War täglich mehrmals in den Nachrichten im Fernsehen.«
»Du machst Witze.«
»Nein, das stimmt, dein Name war unter dem Cockpit quer über den Bug gemalt. Du bist viele Male in San Carlos gewe
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sen, meine Liebe.«
Plötzlich erinnerte sie sich an den Vorfall in der Fernsehabteilung von Harrods, an die Stimme des Kommentators, die Flugzeuge, die sich den Gewässern vor San Carlos näherten, die Rakete, die in die Skyhawk einschlug, und die Leute, die zuhörten und klatschten.
»Ja«, fuhr er trocken fort. »Wer hätte gedacht, daß ich in meinem Alter sogar noch ein Fernsehstar werden würde?«
Sie war echt zornig. »In deinem Alter einen Bomber fliegen, empörend. Ich hätte so etwas für undenkbar gehalten.« Sie berührte sein Gesicht. »War es sehr schlimm, Raul?«
»Ich war viele Male auf dem Weg zur Hölle und zurück«, sagte er. »Um mich herum wurden Jungen vom Himmel geschossen… Und wozu?« Sein Gesicht bekam einen gequälten Ausdruck. »Als ich Rio Gallegos verließ, hatten wir schon ungefähr die Hälfte unserer Piloten verloren. Alle tot. Was für ein Irrsinn.«
Sie reagierte instinktiv auf seinen Schmerz. »Erzähl mir etwas darüber, Raul. Damit ich es fühlen kann und damit du es loswirst. Du mußt es loswerden.«
Sie griff nach seinen Händen und hielt sie fest, während sie einander gegenübersaßen.
»Erinnerst du dich an den Onkel, von dem ich dir erzählt habe, den Stierkämpfer?«
»Ja.«
»Er pflegte niederzuknien und zur Jungfrau zu beten, ehe er die Arena betrat. Schütze mich vor den Hörnern der Bestie, sagte er dabei immer. Ich hatte in den letzten paar Wochen viele Male die Hörner vor mir.«
»Warum, Raul? Warum?«
»Weil es das ist, was ich tue. Ich fliege. Und es ist das, was ich bin, und ich hatte keine andere Wahl. Konnte ich etwa am Schreibtisch sitzen, während die Jungs in den Tod flogen?
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Weißt du, wie wir den Falkland-Sund nennen? Tal des Todes.«
Seine Augen blickten starr, die Haut über den Wangenknochen hatte sich gestrafft. »In der Arena gibt es eine rote Tür – die Tür, durch die der Stier kommt. Sie heißt ›Pforte der Angst‹. Durch diese Pforte kommt der Tod, Gabrielle, eine schwarze Bestie, die darauf abgerichtet ist, einen zu töten. Als ich nach San Carlos flog, warst du das einzige, was die Pforte geschlossen hielt. In einem der schlimmsten Augenblicke, als die Maschine nicht auf die Instrumente reagierte und ich schon den Schleudersitz betätigen wollte, hätte ich schwören können, daß ich auf einmal das Parfüm roch, das du benutzt. Es war vielleicht verrückt, aber ich hatte das Gefühl, du seist bei mir.«
»Und dann?«
Die Spannung war aus ihm gewichen. »Ich bin hier, nicht
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