Die Stunde des Jägers - EXOCET
eine Weile nach dem Gespräch mit Bobst am Telefon sitzen und überlegte. Irana Wronsky brachte ein Tablett mit Kaffee aus der Küche und setzte es neben ihm ab.
»Ist was?«
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»Ich weiß nicht. Diese Legrand. Irgend etwas scheint da nicht zu stimmen.«
»Was denn?« fragte sie, während sie ihm einschenkte.
»Ich weiß nicht«, sagte er gereizt. »Das ist ja das Problem.«
»Dann verschaff dir doch Gewißheit«, sagte sie und reichte ihm die Tasse. »Sicherheitsüberprüfung Stufe eins.«
»Sehr gute Idee. Veranlaß morgen früh bitte das Nötige, wenn du in die Botschaft gehst. Höchste Priorität.« Er trank einen Schluck und verzog das Gesicht. »Montera hat recht, widerliches Zeug. Haben wir zufällig Tee im Haus?«
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Paco, seit einiger Zeit ein In-Lokal, war voller Atmosphäre und Leben, die Tische standen dicht beisammen, die fünfköpfige Band war außergewöhnlich gut. Sie hatten eine kleine Nische für sich, von der aus sie den Trubel beobachten konnten. Sie bestellte Whisky-Sour, er Perrier mit Limone.
»Du trinkst immer noch nichts?«
»Ich muß fit bleiben, darf mich nicht gehenlassen. Ein Mann in den besten Jahren, eine jüngere Frau. Du weißt, wie das ist?«
»Nimm einfach Potenzpillen«, sagte sie. »Dann schaffst du es. Ich habe es natürlich nur auf dein Geld abgesehen.«
»Nein«, sagte er. »Im Gegenteil. Bei der gegenwärtigen Inflation in Argentinien bin ich hinter deinem Geld her. Selbst die Monteras könnten die Misere zu spüren bekommen, wenn der Krieg vorbei ist.«
Bei dem Wort Krieg kehrte die Wirklichkeit zurück, und das wollte sie nicht. Sie nahm seine Hand. »Tanzen wir«, sagte sie und zog ihn hoch.
Die Band spielte einen Bossanova, und Montera war ein voll
endeter Tänzer, er führte sie traumhaft. Als die Musiker ihre
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Instrumente hinlegten, sagte Gabrielle: »Das war herrlich. Du hättest Gigolo werden sollen.«
»Das hat meine Mutter auch immer gesagt. Ein Herr sollte nicht zu gut tanzen.« Er lachte. »Ich habe immer wahnsinnig gern getanzt. Schon als Junge trieb ich mich in den Tangokne ipen herum. Tango ist natürlich der einzige wahre Tanz für uns Argentinier. Er widerspiegelt alles, politische Auseinandersetzungen, Wirtschaftskrisen, die Liebe, das Leben – sogar den Tod. Kannst du Tango?«
»Manche haben es behauptet.«
Er wandte sich an den Bandleader und sagte: »He, Compadre, wie war’s mit einem richtigen Tango? Etwas, das wie Cambalache ins Blut geht?«
»Oh, der Senor ist Argentinier«, antwortete der Musiker. »Ich kenne den Akzent. Fern der Heimat, besonders in diesem Augenblick. Deshalb spielen wir jetzt nur für Sie und die Senorita.«
Er ging nach hinten und kam mit einem Instrument zurück, das wie eine sechseckige Ziehharmonika aussah. »Ah«, sagte Montera freudig. »Wir werden etwas Authentisches hören. Das ist ein argentinisches Bandoneon!«
»Sehr vielversprechend«, sagte Gabrielle.
»Warte nur.«
Der Bandleader fing an zu spielen und wurde nur vom Klavier und der Geige begleitet, und die Musik berührte sie in ihrem tiefsten Innern, denn sie sprach von unsäglicher Traurigkeit, vom Sehnen nach Liebe, von dem Wissen, daß alles, was das Leben lebenswert macht, in der Hand eines anderen Menschen liegt, der es geben oder verweigern kann.
Sie tanzten wie aneinandergeschmiedet, auf eine Weise, die sie nie für möglich gehalten hätte. Er tanzte nicht nur großartig, sondern auch unendlich zärtlich, und wenn er lächelte, strahlte sein Gesicht Liebe aus, eine aufrichtige Neigung, die keine
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Forderungen stellte.
Sie waren ein Paar, das viele Gäste faszinierte, nicht zuletzt Ralph Bobst, der mit Wanda an der Bar saß.
»Gott im Himmel«, sagte er. »Was für ein himmlisches Geschöpf. So was hab ich noch nie gesehen.«
Wanda fühlte, wie sie von Panik ergriffen wurde, als sie sein Gesicht und seine Augen musterte. »In so einem Fummel kann jede gut aussehen«, sagte sie schnippisch.
»Ich scheiße auf den Fummel«, sagte Bobst ordinär. »Sie würde in allem gut aussehen – am besten aber mit nichts.«
Als die Musik verklang, applaudierten einige Leute, aber Montera und Gabrielle blieben noch einen Moment, alles ringsum vergessend, stehen.
»Du liebst mich wirklich sehr«, sagte sie leise, und in ihrer Stimme lag so etwas wie ein fragender Unterton.
»Ich muß es einfach«, sagte er. »Du hast mich neulich
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