Die Stunde des Mörders: Roman (German Edition)
Mann war er erstaunlich schnell. Sie stand mit offenem Mund da und vergaß ganz, sich zu wehren. Dann schleuderte sie ihrem flüchtenden Zuhälter einen wütenden Wortschwall in ihrer Muttersprache hinterher. Logan hatte zwar keine Ahnung, was die Worte bedeuteten, aber der Sinn schien einigermaßen klar. »Also«, sagte er, als ihr allmählich die Luft und die Inspiration ausgingen, »es ist wirklich okay: Ich werde dich nicht verhaften. Ich will wirklich nur reden.«
Sie musterte ihn erneut von Kopf bis Fuß. »Ich serr gutt versaut reden. Du wollen versaut reden?«
»Nein, nicht diese Art von Reden. Komm, ich spendier dir einen Drink.«
Das Regents Arms war eine kleine Bar am Regent Quay, die bis drei Uhr früh geöffnet hatte. Nicht gerade die vornehmste Adresse von Aberdeen – die Kneipe war düster, dreckig, roch nach verschüttetem Bier und abgestandenem Tabakrauch, und nicht mal für den Apostroph in »Regent’s« hatte es gereicht. Aber sehr beliebt bei dem Völkchen, das sich nach Sonnenuntergang in der Hafengegend herumtrieb. Logan musste sich nur einmal unter den Gästen umsehen und entdeckte gleich drei, die er irgendwann schon einmal verhaftet hatte – ein bisschen schwere Körperverletzung hier, ein bisschen Prostitution da, ein bisschen Einbruch dort. Damit war klar, dass er es auf keinen Fall riskieren würde, hier aufs Klo zu gehen. Sich freiwillig in einen kleinen Raum mit nur einem Ein- und Ausgang begeben, und hinter sich ein Lokal voller Typen, die mit Begeisterung zusehen würden, wie ein Bulle sein Gehirn auf dem dreckigen Fliesenboden verspritzte? Da könnte er sich auch gleich selbst mit einem Hammer die Nase einschlagen und allen anderen die Mühe sparen. Doch niemand sagte irgendetwas, als er das junge Mädchen in eine Nische bugsierte und ihr eine Flasche Budweiser vom Tresen holte. Wenn sie alt genug war, um ihren Körper auf der Straße zu verkaufen, war sie auch alt genug für ein Bier.
»Und«, sagte er, »wie heißt denn dein feiner Freund?«
Ihre Miene verfinsterte sich, und erneut bedachte sie ihren abwesenden Beschützer mit einer Flut unverständlicher Schimpfwörter. Als Logan sie fragte, in welcher Sprache sie da eigentlich fluche, sagte sie: »Litauisch.« Ihr Name sei Kylie Smith – ja, klingt sehr glaubwürdig, dachte Logan –, und sie sei jetzt schon fast acht Monate in Schottland. Zuerst Edinburgh, dann Aberdeen. In Edinburgh gefiel es ihr besser, aber was hatte sie schon für eine Wahl? Sie musste dorthin gehen, wohin sie geschickt wurde. Und nein, sie war nicht sechzehn, sie war neunzehn. Auch das kaufte Logan ihr nicht ab. Das Licht in der Kneipe war funzelig, aber immer noch besser als die flackernden gelben Straßenlaternen in der Shore Lane. Sie war keinen Tag älter als vierzehn. Er würde sie wohl oder übel aufs Präsidium mitnehmen müssen. So ein Kind konnte er unmöglich auf die Straße zurückschicken. Sie gehörte in die Schule und nicht auf den Strich!
Ihr »Freund« hatte ihr gesagt, sie solle ihn Steve nennen, aber Logan sollte ihm keinen Ärger machen, weil sie bei ihm wohnen musste, und er würde sie schlagen. Logan brabbelte etwas Unverbindliches und fragte Kylie, wo sie letzte Nacht gewesen sei.
»Ich gehen mit Mann in Anzug, er wollen, dass ich schmutzige Sache machen, aber er zahlen gutt. Dann gehen mit andere Mann, stinken total nach Pommes, Haut ganz fettig. Ich gehen mit –«
»Entschuldigung, aber das habe ich nicht gemeint.« Logan versuchte, nicht an die öligen Finger zu denken, die dieses Schulmädchen betatscht hatten. »Ich wollte wissen, von wo diese Männer dich mitgenommen haben.«
»Ah, ich verstehen. Selbe Stelle wie heute. Ganze Nacht. Ich machen gutt Geld.« Sie nickte. »Steve bringen Frühstück für mich, weil ich so gutt sein. Happy Meal.«
Echt spendabel, der Bursche. »Hast du gewusst, dass vorletzte Nacht ein Mädchen überfallen wurde?«
Sie nickte wieder. »Ich weiß.«
»Hast du irgendetwas gesehen?«
Kylie schüttelte den Kopf. »Sie stehen da ganz Nacht, nur ein Mann kommen und machen Fick mit ihr.«
»Wie hat er ausgesehen?«
»War sehr dunkel draußen …« Sie runzelte die Stirn, dann sagte sie: »Weiße Haar, so wie Igel?« Sie legte die flachen Hände an die Schläfen, mit den Fingern nach oben. »Du wissen? Und Bart.« Noch mehr Gestensprache: diesmal mit der Linken, die Finger zusammengelegt, genau an der Kinnspitze. »Und er riechen auch nach Pommes.«
Logan lehnte sich zurück und grinste.
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