Die Stunde des Mörders: Roman (German Edition)
ich mich dann trotzdem so beschissen?«
»Weil Sie halt nicht so ein herzloses Schwein sind wie manche von den Typen, die hier so rumlaufen.« Er tätschelte Logan mit seiner gewaltigen Pratze die Schulter. »Der wird schon wieder. Wenn Sie ordentlich was zu der Sammlung beisteuern, besorgen wir ihm ’ne Stripperin. Sie werden sehen, bald ist die ganze Sache vergessen.« Logan dankte ihm für seinen Optimismus und schlappte dann in die Kantine, um sich einen Tee und ein Sandwich zu holen. Er nahm beides mit ins Archiv, um sich ein paar Verbrechervisagen anzuschauen, während er aß und trank. Was er suchte, war ein Typ mit rasiertem Schädel und Ziegenbärtchen: der Zuhälter des vierzehnjährigen Mädchens aus Litauen. Er hockte sich an einen Computer und begann sich durch die umfangreiche Sammlung von bösen Buben zu klicken.
Irgendwann war es drei Uhr, und noch immer hatte er erst einen Bruchteil der Porträtsammlung des Polizeipräsidiums gesichtet. Morgen würde er am Computer ein Phantombild erstellen und es per Rundmail herumschicken. Vielleicht würde ja irgendjemand den Kerl wiedererkennen. Er gähnte und streckte sich, bis die Gelenke knackten. Und dann zog er wieder los in die Nacht, um noch ein letztes Mal nach Kylie zu suchen. Von wegen um zwei Uhr Schluss machen …
Am Hafen war nicht allzu viel los. Wer sich so richtig die Kugel geben wollte, suchte sich dafür nicht unbedingt den Mittwochabend aus, weshalb nicht ganz so viele volltrunkene Idioten wie sonst aus den Nachtclubs und Striplokalen torkelten und auf der Suche nach käuflicher Liebe die Straßen durchstreiften. Und das bedeutete, dass die meisten Huren auch heimgegangen waren. Jetzt hielt nur noch der harte Kern die Stellung. Also die ganz Verzweifelten. Die Frauen, die am Abend nicht so viel Glück gehabt hatten. Diejenigen mit den Krampfadern und den fehlenden Zähnen. Frauen wie Rosie Williams.
Logan machte wieder seine Hafenrunde, aber es waren nur noch vier von den leichten Mädchen im Dienst, und mit dreien hatte er vorher schon gesprochen. Das letzte »Mädchen« war Mitte bis Ende vierzig – schwer zu sagen im flackernden Licht der Laterne – und trug über seinem billigen Minirock einen PVC-Regenmantel. Abgerundet wurde das Ensemble durch ein Paar schwarze Overknee-Stiefel aus Plastik. Als er sie so anschaute, wunderte Logan sich nicht mehr, dass sie sich nur in den frühen Morgenstunden auf die Straße wagte, wenn die Freier alle sturzbesoffen und am wenigsten wählerisch waren. Ihr Gesicht war irgendwie schief, ganz merkwürdig verzerrt und klumpig … und da sah er es plötzlich: Irgendjemand musste sie vor kurzem verprügelt haben. Deswegen war ihr Lächeln so schief und ihr Gesicht so unsymmetrisch, angeschwollen von den Schlägen. Sie hatte die blauen Flecken mit Make-up zuzukleistern versucht.
Als sie sah, wie Logan sie anstarrte, fragte sie: »Na, Süßer, willst du dich ein bisschen amüsieren?« Ihre Aussprache war verwaschen, und sie lispelte ein wenig – vermutlich fehlte ihr auch der eine oder andere Zahn. »Ein hübsches Kerlchen wie du – du willst dich doch bestimmt ein bisschen amüsieren …« Sie wackelte lasziv mit den Hüften, zuckte zusammen und riss dann ihren Regenmantel auf, unter dem ein schwarzer Spitzen-Bustier zum Vorschein kam. Die weiße Haut darunter war mit blauen Flecken übersät. »Na, gefällt dir das?«
Darauf konnte Logan unmöglich eine ehrliche Antwort geben. »Hat dich jemand vermöbelt?«
Sie zuckte mit den Achseln, zog eine Schachtel Zigaretten aus der Manteltasche, steckte sich eine zwischen die geschwollenen Lippen und zündete sie mit einem Tankstellen-Feuerzeug an. »Bist du ’n Bulle?« Sie musterte ihn von Kopf bis Fuß. »Nee, du musst gar nichts sagen. Natürlich bist du ’n beschissener Bulle.« Der erste ordentliche Lungenzug löste einen Hustenanfall aus. Sie kniff die Augen zu und hielt sich mit schmerzverzerrtem Gesicht die Rippen, bis das trockene Gebell sich gelegt hatte.
»Die Dinger bringen dich noch um.«
Sie zeigte ihm den Mittelfinger und rang rasselnd nach Luft, um dann einen dunklen Schleimbatzen auf das Pflaster zu spucken. »Wenn ich Gesundheitstipps brauch, geh ich zu meinem Doktor, Mann. Also, was willst du? Schutzgeld? ’nen Freischuss?«
Logan versuchte, nicht allzu geschockt zu wirken. »Rosie Williams«, sagte er stattdessen. »Die hat’s vorletzte Nacht erwischt. Ich suche nach Leuten, die das Schwein gesehen haben, das sie auf dem Gewissen
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