Die Stunde des Puppenspielers: Thriller (German Edition)
spielen brachte einen nur hinter Gitter.
Danny versuchte die Gedanken an die Leichen zu verdrängen, als er nach Hause fuhr.
Es funktionierte nicht.
Während der Fahrt fiel ihm jedes Detail dieser Nacht 1995, als er die erste Leiche gesehen hatte, wieder ein: Ray Taylors Nikotinkeuchen, das nasse Farngestrüpp an den Hosenbeinen, die Blinklichter der Polizei, die gespenstische Schatten zwischen die Fichten warfen. Danny war noch zwanzig Meter entfernt gewesen, als die Kamera des Polizeifotografen in dem Bunker geklickt und der Blitz einen kurzen Blick auf den Toten im Innern freigegeben hatte, aufgehängt wie Vieh in einer Schlachterei, das Gesicht mit einem grotesken Make-up bedeckt, in seiner Grellheit wie das eines Clowns. Und jetzt, fünfzehn Jahre später, gab es hier noch so einen.
Konnte es zwischen diesen beiden Fällen eine Verbindung geben? Unmöglich. Der Mörder war gefasst und weggesperrt. Danny hatte dem Prozess beigewohnt.
Danny lief durch den dunklen Olivenhain, der sein Haus umgab: Es waren nur vierzig Meter vom Auto bis zur Haustür, aber in den Schatten des Hains schienen Gefahren zu lauern. Spanien war noch nie ein ruhiges Land gewesen, auch nicht in so ländlichen Gegenden wie dieser. Er versuchte, etwas zu essen, aber der Geruch des Todes war noch immer präsent. Nachdem er in seinem Essen herumgestochert hatte, holte er seinen Laptop und gab den Namen Ishmael Vertanness in die Suchmaschine ein.
Der Serienmörder hatte seinen eigenen Wikipedia-Eintrag, eine ganze Seite.
Ishmael Vertanness oder die »Vogelscheuche«, wie die Zeitungen ihn während der acht Monate seiner Terrorherrschaft genannt hatten. Danny las seinen biografischen Hintergrund, obwohl ihm das alles bekannt war. Vertanness entsprach in jedem Detail dem Profil eines Serienmörders: vom Vater sexuell missbraucht, von einer Pflegefamilie in die nächste abgeschoben; Vorfälle von Grausamkeit gegen Tiere, eine kindliche Fixierung auf Messer; in der Pubertät dann Ladendiebstahl, Exhibitionismus, eine Verurteilung auf Bewährung, nachdem man ihn nackt auf dem Gelände einer privaten Knabenschule erwischt hatte. Unfähig, einen Job zu behalten. Sexuell impotent.
Ein stiller Mann, ein Einzelgänger – so hatten seine Kollegen in der Firma ihn beschrieben.
Wobei er eigentlich eine tickende Zeitbombe gewesen war.
DAS GESICHT DES BÖSEN lautete damals eine Schlagzeile. Es war eine der wenigen Aufnahmen, die man je von Vertanness hatte machen können. Ausdruckslos starrte er durch die Heckscheibe eines Gefangenentransporters in die Kamera. Aus diesem Blickwinkel erkannte man, wie dünn der Lack der Menschlichkeit bei ihm aufgetragen war. Seine Augen wirkten leblos, wie die einer Puppe.
Danny schauderte, als er an sein eigenes Erlebnis mit diesem Mann dachte. Er hatte einen Tag auf der Besuchergalerie des Winchester Crown Court verbracht, hatte Vertanness beobachtet, während ein vollständiger Bericht über die Gräueltaten der »Vogelscheuche« verlesen wurde. Vertanness hatte fünfmal getötet, bei allen Opfern handelte es sich um junge, attraktive Männer. Vier seiner Opfer waren auf die grausamste Art gedemütigt worden: aufgehängt, anal vergewaltigt, kastriert. Stundenlang hatte er mit seinen Opfern gespielt, sie mit Make-up beschmiert, ihnen Zopfperücken aufgesetzt. Irgendwann während dieser Tortur waren sie dann erdrosselt worden. Man hatte nie genau herausfinden können, zu welchem Zeitpunkt. Vertanness selbst hatte sich dazu nicht geäußert. Den ganzen Tag von Dannys Anwesenheit war ihm kein Wort über die Lippen gekommen, kein einziges. Ihm schien kaum bewusst gewesen zu sein, wo er sich befand. Auch als er in den Zeugenstand geführt und ihm eine Strafe wegen Missachtung des Gerichts angedroht wurde, hatte er nichts gesagt. Es schien, als wäre er in Trance. Sein Verteidiger behauptete, bei seinem Mandanten sei eine Form von Autismus festgestellt worden.
Es hatte einen Aufschrei gegeben, als das ganze Ausmaß von Vertanness’ sexueller Pervertiertheit in der Öffentlichkeit bekannt wurde. Die Familien der Opfer hatten sich gegen das Plädieren der Verteidigung auf Geistesgestörtheit gewehrt – sie wollten, dass Vertanness in ein normales Gefängnis kam –, aber für Danny bestand nie ein Zweifel darüber, dass Vertanness geistesgestört war. Ein Verhandlungstag musste unterbrochen werden, als Vertanness beim Masturbieren unter der Anklagebank ertappt wurde.
Danny klickte auf die Website seines früheren
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