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Die Stunde des Reglers: Thriller (German Edition)

Die Stunde des Reglers: Thriller (German Edition)

Titel: Die Stunde des Reglers: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Landorff
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und Tretjak?
    Gabriel Tretjak sagte, er würde in ein paar Tagen wieder vorbeischauen. Dann verließ er das Lokal. Er ging vor zur Straße, links runter zum Supermarkt. Er kaufte Brot, zwei Flaschen Milch. Beim Zeitungsladen nahm er ein paar deutsche Zeitungen mit.

    Fass die Vergangenheit nicht an. Ironie des Schicksals, dass sich der Fall im Kernforschungszentrum um diesen Satz drehte. Tretjak fragte sich, ob Unfalltote in Europa in einer gemeinsamen Datei abgespeichert wurden. Er fragte sich, ob Rainer Gritz auch von dem Tretjak in Penzance in Cornwall erfahren würde. Geburtstag diesmal der 15. August übrigens. Und er fragte sich auf dem steilen Eselsweg nach oben, ob es Zufall sein konnte, dass die beiden Männer in derselben Woche ums Leben gekommen waren. Wenn nicht, musste er anfangen, sich Gedanken zu machen.
    Als er oben angekommen war und auf der Veranda stand, tippte er eine SMS in sein Telefon. Sie ging an Sophia Welterlin und lautete: Gern regle ich Ihre Angelegenheit. Tretjak. Und dann stellte er sich noch eine letzte Frage: Konnte es sein, dass man Depressionen loswurde, wenn man einfach keine Zeit für sie erübrigte?

Mittwoch 11. Oktober
    (t 0 minus 51)
    Manchmal hatte sie das Gefühl, er flirte mit ihr. Es gefiel ihr, und sie hatte sich schon ein paarmal morgens dabei ertappt, bei der Wahl ihrer Garderobe deshalb andere Entscheidungen zu treffen. Lieber die Schuhe mit dem etwas höheren Absatz. Lieber, wie heute, den Rock, der sie so schlank aussehen ließ. Sophia Welterlin saß in ihrem Büro hinter dem Schreibtisch und hörte ihrem Assistenten zu, der ihr ein Problem beim Projekt »Casimir« darlegte.
    »Wir werden mit der Rechenzeit, die uns während des Experimentes zur Verfügung steht, nicht auskommen«, sagte er, »das steht fest. Sie müssen versuchen, uns mehr Zeit am Computer zu besorgen.«
    Gilbert war Franzose, ein aus Indien stammender Franzose mit schwarzen glänzenden Haaren, schwarzen Augen und schwarzen Bartstoppeln. Er hatte einen komplizierten Nachnamen, den sich niemand merken wollte, er war einer von drei wissenschaftlichen Assistenten, die ihr für das Projekt »Casimir« genehmigt worden waren. Und er war zwanzig Jahre zu jung.
    »Ausgeschlossen«, sagte sie. »Das können Sie vergessen.« Sophia Welterlin sprach vier Sprachen fließend. Mit Deutsch, Italienisch und Französisch war sie aufgewachsen, Englisch war die Sprache der Wissenschaft. Wenn sie sich mit Gilbert unterhielt, wechselten sie manchmal zwischen Französisch und Englisch hin und her, je nachdem, wie persönlich der Teil ihres Gespräches war. Im Augenblick sprachen sie Englisch. »Wir werden nicht mehr Rechenzeit bekommen«, sagte sie. »Wir müssen uns etwas anderes einfallen lassen. Zum Beispiel die Datenmenge zu reduzieren, die wir verarbeiten. Was ist, wenn wir später mit den Messungen anfangen?«
    »Näher am Zeitpunkt der Teilchenkollision?« Gilbert zuckte mit den Achseln. Er war Mathematiker, kein Physiker. »Das müssen Sie entscheiden. Noch planen wir, dass wir drei Sekunden vor t 0 beginnen. Das ist viel Zeit, eine Ewigkeit.«
    Sophia Welterlin lächelte. »Interessant, dass drei Sekunden für Sie eine Ewigkeit sind«, sagte sie.
    Er antwortete auf Französisch und sah sie direkt an: »Besonders schöne Momente können sich sehr lange ausdehnen.« Sie entließ ihn mit dem Auftrag, auszurechnen, wie viel eine Verschiebung um eine halbe Sekunde bringen würde. Der würde noch einige Frauen unglücklich machen, dachte sie. Und glücklich.

    Der LHC-Teilchenbeschleuniger im Europäischen Kernforschungszentrum CERN galt als die komplizierteste Maschine der Welt. Sein Rechner, sein mathematisches Gehirn, war kein Gerät im herkömmlichen Sinn. Es handelte sich eher um eine hochintelligente Meute von Geräten. 150 Hochleistungsrechner, die besten der Welt, jeder an einem anderen Ort, wurden für die Experimente im LHC und deren Auswertung zusammengeschlossen. Die Zeit dieses Superhirns war kostbar, sein Terminkalender war auf Jahre hinaus voll, und zwar auf die Sekunde. Dies war einer der vielen Punkte, die Sophia Welterlin dem deutschen Journalisten erklärt hatte, der ihr unlängst drei Tage lang wie ein Dackel auf Schritt und Tritt gefolgt war. Jetzt lag das Manuskript seines Berichtes ausgedruckt vor ihr auf dem Schreibtisch. Ein beachtlicher Stapel Papier mit dem Titel Im Feuer der Zeit . Der Journalist hatte sie gebeten, den fertigen Text auf wissenschaftliche Fehler hin gegenzulesen.

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