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Die Stunde des Reglers: Thriller (German Edition)

Die Stunde des Reglers: Thriller (German Edition)

Titel: Die Stunde des Reglers: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Landorff
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die erste Oktoberwoche freinahm, um jeden Tag aufs Oktoberfest zu gehen. Diese Zeit war ihr heilig. Gritz hatte ihr dieses Jahr fest versprochen, einen Abend mitzugehen. Ihm graute vor der Vorstellung – Bierzelt, Bier, Achterbahn, Geisterbahn. »Versprochen ist versprochen«, sagte Frau Gebauer.
    Gritz holte sich einen Kaffee vorn an dem Kaffeeautomat, mit Milch, ohne Zucker. Die Kollegen schimpften gern über das schreckliche Gebräu, Gritz nicht, er fand den Kaffee völlig in Ordnung. Zurück am Schreibtisch beschloss er, jetzt den ewig langen Artikel in der neuen Ausgabe der »Kriminalistik« zu lesen, der Fachzeitschrift für Ermittler. Der Artikel befasste sich mit dem ersten Erscheinen eines Polizisten am Tatort. Die These des Autors, eines norwegischen Rechtsprofessors, wurde schon in den Anfangszeilen klar. Die Ermittler sollten sich einer sozusagen naturgemäßen Gefahr bewusst sein: Man konzentrierte sich am Tatort sofort auf das Wesentliche, etwa auf die Leiche, und vielleicht noch auf das unmittelbare Umfeld des Opfers. Doch dabei verlor man die Sensibilität für vieles, was sonst am Tatort passiert war oder noch passierte. Der Professor griff auf die sogenannte Unschärferelation des Physikers Werner Heisenberg zur Unterstützung seiner Gedanken zurück: Je genauer man eine Sache untersuchte, desto unschärfer mussten andere Bilder werden. Gritz war gespannt auf den Artikel, ihm leuchtete der Ansatz des Autors sofort ein. Zu oft war ihm das selbst am Tatort so ergangen.
    Da klingelte sein Telefon, das Schreibtischtelefon. Die Gerichtsmedizin. Die erste Untersuchung der beiden Leichen in dem ausgebrannten Flugzeug war abgeschlossen.
    »Ich würde sagen«, sagte die Gerichtsmedizinerin, »mit durchaus überraschenden Ergebnissen.«
    »Aha«, sagte Gritz, »und die wären?«
    »Die beiden waren schon tot, bevor sie dann verbrannt sind. Aber das ist noch nicht alles.«
    Gritz sagte nichts, wartete, bis sie weitersprach.
    »Der Mann … wie heißt er eigentlich? Sie wissen, ich rede meine Leichen am liebsten mit Namen an.«
    »Tretjak«, sagte Gritz, »Gabriel Tretjak.«
    »Tretjak? War das nicht der Typ von damals?«
    »Ja, der hieß auch so. Die haben aber nichts miteinander zu tun«, sagte Gritz leicht ungeduldig. »Bitte erzählen Sie weiter.«
    »Also, dieser Tretjak war schon mindestens 24 Stunden tot, bevor er verbrannte. Und die Frau –«
    »Carla Almquist heißt sie«, fügte er ein.
    »Das ist noch merkwürdiger. Sie war mindestens schon eine Woche tot, bevor sie ins Flugzeug gebracht wurde. Das ist übrigens auch sicher: Die beiden sind nicht in diesem Flugzeug gestorben. Man hat sie bereits tot dorthingebracht.«
    »Können Sie schon sagen«, fragte Gritz, »woran die beiden gestorben sind?«
    »Nein«, antwortete die Gerichtsmedizinerin, »die Untersuchungen zur Todesursache laufen noch. Wir sind auch nicht sicher, ob wir das am Ende beantworten können. Es ist ja wirklich nicht mehr viel übrig von den beiden Leichen.«
    Rainer Gritz legte den Hörer auf. Eine neue Situation. Wieder einmal war es eine Illusion gewesen zu glauben, man könnte sich in seinem Job seine Zeit selbst einteilen. Die Nachrichten von der Gerichtsmedizin bedeuteten unzweifelhaft: Die beiden Toten waren ermordet worden. Welche Erklärung sollte es sonst geben? Er spürte ein leichtes Ziehen in der Magengegend, kombiniert mit einer gewissen Übelkeit. Sein schmerzender Magen war schon wiederholt das Untersuchungsobjekt verschiedener Ärzte gewesen. Nie war etwas gefunden worden. Zurück blieb sein empfindsamer Magen, der immer mal wieder Alarm schlug, wenn er nervös wurde. Gritz rief seiner Sekretärin zu, die Kollegen sollten sich in einer Stunde für ein kurzes Treffen im Besprechungszimmer einfinden.

    Gabriel Tretjak. Gritz nahm eine Akte aus der Schublade, rund sechzig Seiten, zusammengehalten von einem Schnellhefter. Tretjak-Dossier stand drauf, er hatte es damals noch zu Ende geschrieben, obwohl es den Fall schon nicht mehr gab. Sie hatten genauer verstehen wollen, was dieser Tretjak für einen Beruf ausübte, was die Bezeichnung sollte: Der Regler. Den Kollegen war es schließlich gelungen, zwei Beispiele seiner Arbeit zu dokumentieren. Der eine Fall war vor allem merkwürdig: Ein bekannter Geiger der Berliner Philharmoniker hatte Ärger mit verschiedenen Leuten im Orchester, er bedrohte, er wurde bedroht, er erpresste und wurde erpresst. Die Kollegen fanden heraus, dass die Leitung der Philharmoniker

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