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Die Stunde des Reglers: Thriller (German Edition)

Die Stunde des Reglers: Thriller (German Edition)

Titel: Die Stunde des Reglers: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Landorff
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irgendwann Tretjak engagiert hatte. Kurze Zeit später verschwand der Geiger, sechs Wochen lang wusste keiner, wo er steckte. Dann tauchte er wieder auf, als festes Ensemblemitglied des Großen Orchesters von Kapstadt. In dem Bericht war noch festgehalten, dass der südafrikanische Konzertmeister in jenen Tagen seinen Job verlor. Von da an gab es verschiedene Kooperationsabkommen zwischen Berlin und Kapstadt. Und die Kollegen fanden heraus, dass der Freundeskreis der Philharmoniker, ein gemeinnütziger Verein, dem Regler 120000 Euro überwiesen hatten. Für »externe Beraterdienste«.
    Der andere Fall war brutaler. Im Mittelpunkt stand ein sehr reicher und sehr alter, schon seniler Unternehmer, der seine Firma durch fragwürdige Entscheidungen zunehmend schädigte. Der Unternehmer unterdrückte seine Söhne und war in keiner Weise bereit, Macht abzugeben. Eine ausweglose Situation. In dieser Ausgangslage war es erwiesenermaßen zu einer Begegnung zwischen Gabriel Tretjak und einem der Söhne des Unternehmers gekommen. Genau zwei Wochen später hatte sich der alte Mann das Leben genommen, sich vor einen fahrenden Zug geworfen. Die Kollegen hatten in ihrem Bericht festgehalten, der Selbstmord sei ihrer Überzeugung nach kein Selbstmord gewesen, es lasse sich aber nichts beweisen. Was hingegen sicher war, so wurde es in dem Dossier vermerkt: Die Söhne hatten am Tag nach dem Tod des Vaters bei ihrer Bank einen Dauerauftrag eingerichtet – zehntausend Euro monatlich auf ein anonymes Schweizer Nummernkonto. Eine Verbindung zu Tretjak konnte nicht nachgewiesen werden.
    Das Dossier endete mit einer kurzen Notiz, verfasst von Rainer Gritz selbst. Es ging um sein Treffen mit einem merkwürdigen Mann namens Lichtinger, hoch in den Bergen Südtirols. Gritz war den weiten Weg gefahren, weil es einen Hinweis von Tretjaks Vater gegeben hatte, dieser Lichtinger wisse Bescheid über den ominösen Bruder von Gabriel Tretjak. Doch das war ein Irrtum, notierte Gritz damals. Er schrieb: »Lichtinger sagte, der Bruder sei das große Rätsel in dieser Familie. Er, Lichtinger, habe manchmal sogar gedacht, dass er gar nicht existiere. Inzwischen sei er aber überzeugt, dass es ihn doch gebe. Und dass er der einzige Mensch auf der Welt sei, vor dem Gabriel Tretjak wirklich Angst habe.«

    Gabriel Tretjak. Gritz rief Google auf und tippte den Namen ein. Es war ein Reflex, ohne großes Nachdenken, der Name hatte sein Hirn besetzt. Auf den ersten Google-Seiten kam nur unnützes Zeug, dabei bestimmt fünfmal das Angebot, alte Klassenkameraden wiederzufinden. Aber auf der vierten Seite hatte, warum auch immer, ein Text von weit weg seinen Platz gefunden, englischsprachig, aus einem kleinen Wochenblatt. Die Überschrift war leicht zu verstehen: Gabriel Tretjak, genannt Mister Big, gestorben am 4. Oktober dieses Jahres. Für einen Moment dachte Gritz, es handle sich bei dem Nachruf um den Mann vom Münchner Flughafen. Doch dann kam die Stelle mit dem Mähdrescher. Er musste im Lexikon kurz nachschauen, was das Wort bedeutete. Harvester. Mähdrescher.
    Es war dann auch ein Reflex verantwortlich, dass Rainer Gritz eine Nummer wählte, die er schon längere Zeit nicht mehr gewählt hatte. Es war ein Gewohnheits-, ja ein Routinereflex. Seit Rainer Gritz Polizist war, hatte er sich, wenn es schwierig wurde, mit seinem Chef beraten. Die Frage war immer gewesen: Wie war die Lage? Was war jetzt zu tun? Gritz war überzeugt davon, wenn er jetzt mit seinem Chef reden konnte, würde sich zumindest sein Magen beruhigen.
    Eine Frauenstimme meldete sich. »Ja, hallo?«
    »Inge, grüß dich. Hier ist der Rainer.«
    »Ach, Rainer, lange nichts gehört. Schön, dass du anrufst.«
    Gritz fragte nach den Kindern, den beiden Buben. Ein zögernder Dialog entstand. Nette, schleppende Worte auf beiden Seiten.
    »Rainer, magst du heute Abend nicht zu uns zum Essen kommen? Ich habe Gulasch gekocht. Wir sind froh, wenn einer mitisst.«
    »Gerne«, sagte Gritz, »sehr gerne. Ist es okay, wenn ich so gegen halb sieben bei euch bin?«
    »Ja«, sagte Inge Maler, »wir freuen uns.«
    Kurz vor Ende des Gesprächs fragte er dann doch noch: »Wie geht es August?«
    »Was soll ich sagen?«, war die Antwort. »Gut geht es ihm nicht. Nein, wirklich nicht. Du wirst es ja sehen.«

    August Maler wohnte seit vielen Jahren mit seiner Familie in Neuried, einem Vorort von München. Neuried lag im an sich schönen Münchner Süden, doch Neuried war kein schöner Ort, ein paar hässliche

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