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Die Stunde des Reglers: Thriller (German Edition)

Die Stunde des Reglers: Thriller (German Edition)

Titel: Die Stunde des Reglers: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Landorff
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ihr einen kleinen weißbraunen Terrier? Mit einem blauen Halsband?«
    »Ja«, antwortete Sophia und blieb sofort stehen.
    »Den hab ich grad überfahren«, sagte der Mann. Er hatte Bartstoppeln. »Liegt hinten auf der Ladefläche, ihr könnt ihn runterholen. Oder soll ich ihn entsorgen?«
    Schubert war nur zwei Jahre alt geworden. Sie begruben ihn am Ortsausgang, wo der Fußweg begann, der den Berg hinunter in den Ort Täsch führte. Jeden Tag nach der Schule ging Sophia zu dem kleinen Holzkreuz und legte eine Blume ab. Noch mit dreizehn tat sie das. Erst als die Hormone sich einmischten, als die Schule schwieriger wurde, die Eltern peinlich und das Café »New Sound« viel von ihrer Zeit forderte, erst dann durfte das Kreuz sich langsam zur Seite neigen und schließlich in Laub und Gestrüpp untergehen.

    Als Sophia Welterlin an diesem Samstagmorgen in der Rue Mantour zum ersten Mal erwachte, nahte schon der Tag. Sie war noch verschlafen, ging nur kurz zur Toilette und wollte eigentlich gleich wieder zurück ins Bett, als ihr auffiel, dass das Licht in der Küche nicht eingeschaltet war. Darüber wunderte sie sich, weil sie der Meinung war, dass sie es hatte brennen lassen, wie jeden Abend in letzter Zeit. Früher als Kind hatte sie auch immer gewollt, dass irgendwo im Haus noch Licht war. Sie hatte sich dann sicherer gefühlt. Seit einiger Zeit war es wieder so.
    Einen Moment zögerte sie, aber dann ging sie zur Küche, tastete nach dem Schalter neben der Tür und knipste die Lampe an. Vollkommen ruhig betrachtete sie das Bild, das sich ihr bot. Sie wunderte sich selbst, dass sie nicht erschrocken war. Mit einem fetten roten Farbpinsel waren überall Buchstaben hingeschmiert, auf dem Fußboden, auf der Tischplatte, quer über die Schränke und Wände, über den Kühlschrank, am Heizkörper. Die Buchstaben bildeten Sätze, immer wieder dieselben. Ein manisches Gekritzel. Fass die Vergangenheit nicht an. Du wirst es nicht überleben. Erst als der Gedanke langsam in ihr Gehirn sickerte, dass jemand hier in ihrer Küche gewesen war, während sie geschlafen hatte, dass er in aller Ruhe gearbeitet hatte, beschleunigte sich ihr Puls. Ihr wurde bewusst, dass sie vorhin beim Aufstehen noch etwas wahrgenommen hatte. Es war in ihrem Schlafzimmer gewesen. Ein Geruch, ein fremder Geruch. Sie stand noch in der Diele und setzte sich langsam in Bewegung, barfuß auf dem Holzboden, in ihrem nachtblauen Schlafanzug, ging sie Schritt für Schritt zurück Richtung Schlafzimmer. Sie hörte ein schmatzendes Geräusch, es war nicht laut, und als sie die Tür fast erreicht hatte, verwandelte es sich in ein Knurren. Sophia Welterlin betrat das Zimmer mit einem entschlossenen Schritt und knipste gleichzeitig das Licht an. Starr vor Angst blickte sie in die Augen eines Wesens, das ebenso starr vor Angst war. Dort in der Ecke saß ein kleiner Hund. Seine Augen waren schwarze Knöpfe, sein Fell war weiß und braun. Er wirkte verstört, irgendwie benommen, knurrte und wedelte gleichzeitig mit dem Schwanz. Er saß auf einer Decke, neben sich einen Napf mit Wasser. Auf dem Napf stand sein Name, gepinselt in Rot: Schubert.

    Sophia Welterlin schrie so laut und lange, dass sogar der scheue Herr Hüterlin aus dem Stockwerk über ihr schließlich seine Wohnung verließ und herunterstieg, um nach dem Rechten zu sehen.

Samstag, 14. Oktober
    (t 0 minus 48)
    Gabriel Tretjak hatte die Erfahrung gemacht, dass man sich gewaltig täuschen konnte, wenn man glaubte, im Gesicht eines Menschen etwas lesen zu können. In diesem Fall aber war das Bild eindeutig. Sophia Welterlins Gesicht hatte sich auf erschreckende Weise verändert seit ihrer ersten Begegnung vor zehn Tagen. Das konnte auch das Make-up nicht kaschieren. Ihre Augen lagen tiefer, spähten aus faltigen Höhlen nach draußen, echsengleich. Ihre Lippen zitterten, und als sie ihren Bericht von der vergangenen Nacht abgeschlossen hatte, begann sie zu weinen. Sie machte keine Anstalten, es zu verbergen, schloss nur die Augen. Die Tränen kamen unter den Lidern hervor, liefen die Wangen hinab und gruben Flussbetten in die Schminke.
    Sie saß auf einem Stuhl in ihrer Küche, inmitten der Wände und Gegenstände, die allesamt mit roter Farbe verunstaltet waren. Ihr Zopf war korrekt geflochten, sie trug schwarze Jeans und einen schwarzen Pulli. Tretjak fand, dass sie aussah, als wäre sie in ein Theaterstück hineingeraten, als hätte sie sich verirrt in ein absurdes Bühnenbild. Auch das Glas über dem

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