Die Stunde des Reglers: Thriller (German Edition)
Lag ihm wirklich etwas daran, dieser Teilchenphysikerin zu helfen? Oder floh er nur wieder einmal in die Routine seines Jobs, seines früheren Jobs, musste man ja sagen? In die Sicherheit, zu wissen, was zu tun war? Heute Morgen, als er vom Mord an Rainer Gritz erfahren hatte, war er sofort aufgestanden und hatte in seiner Tasche nach den Tavor-Tabletten gesucht. Er hatte sie zu Hause gelassen, vergessen. Ein gutes Zeichen, hätte Stefan Treysa gesagt. Er selbst hatte geflucht. Mit Gefühlen leben wie mit dem Wetter … Da draußen braute sich etwas gegen ihn zusammen, etwas Bedrohliches, etwas, das ihm Angst machte. Von solchen Dingen hatte Treysa keine Ahnung. Es galt, klaren Kopf zu behalten. Gefühle hatten da noch nie weitergeholfen.
Gabriel Tretjak erklärte Sophia Welterlin, dass er sie aus dem Spiel nehmen würde. Dass er sie wegschicken würde aus ihrem Leben, bis alles aufgeklärt und geregelt sei. Seine alte Methode: Überlass dein Leben mir, ich nehme deinen Platz ein und beginne zu handeln. Rational und klar. Ohne die üblichen Hindernisse, die dir im eigenen Leben das Handeln so schwermachen: deine Beziehungen, deine Verpflichtungen, deine Abhängigkeiten. Dein in der Vergangenheit aufgetürmter Schrott, den du Biographie oder Charakter nennst …
Das meiste, was er Sophia Welterlin erklärte, hatte er schon vor der Information über den nächtlichen Einbruch veranlasst. Lediglich den Zeitpunkt hatte er auf der Fahrt von Luzern nach Genf noch geändert. Ein paar Telefonate und E-Mails. Er hatte den Eindruck, dass man jetzt schnell handeln musste.
Sie war sichtlich erschöpft und hörte ihm gefasst zu. Manchmal mischte sich Erstaunen in ihren Blick, wenn ihr klar wurde, wie viele Details des Planes schon in die Wege geleitet waren. Tretjak wusste, wie schnell Menschen sich fügten, wenn jemand entschieden die Regie übernahm. Das war schließlich die Grundlage seines Geschäftes. Am Ort seiner Kindheit, dem schönen, früher sehr teuren Hotel »Zum blauen Mondschein« in Bozen, das seine Eltern geführt hatten, war ihm schon früh etwas aufgefallen: Je mehr Geld Menschen hatten, je erfolgreicher sie auf irgendeinem Gebiet waren, desto mehr neigten sie dazu, ihre persönlichen Dinge von anderen Menschen regeln zu lassen. Wer findet ein Internat für unseren Sohn? Wer sucht eine Villa für uns? Welcher Therapeut kann unsere Ehe retten? Wer führt uns bei der Bergwanderung?
Sophia Welterlin gehörte eher nicht in diese Kategorie, aber sie hatte Probleme, und sie war allein damit. Der kleine Hund, den sie sich inzwischen auf den Schoß gesetzt hatte, konnte daran nichts ändern. Aber die hohen alten Pinien in der Bucht von Baratti an der italienischen Riviera – die waren ein erster Schritt, auf diese Pinien setzte Tretjak. Er hatte Welterlins Vater in Zermatt angerufen, sich als Freund ausgegeben, der Sophia im Namen des Institutes CERN zu ihrem zehnjährigen Jubiläum ein besonderes Geschenk machen wollte, eine besondere Reise. Schnell hatte sich herausgestellt, dass es für die Familie Welterlin einen besonderen Glücksort gegeben hatte. Dreimal hatten sie dort Urlaub gemacht, Vater, Mutter, Tochter, einmal sogar mit dem Hund. Es war eine kleine Pension in der Bucht von Baratti, das einzige Haus weit und breit, dunkelrot angestrichen, mit einem wunderschönen Garten. Direkt am Meer, hundert Meter zum Sandstrand. Die Pension gab es noch immer, und jetzt im Herbst war es besonders schön dort, hatten sie am Telefon gesagt, keine Touristen mehr, aber das Wasser noch warm genug zum Baden. Welterlins Mutter war schon vor Jahren gestorben, aber ihr Vater war ziemlich fit, und er hatte sich über den Vorschlag, seine Tochter zu begleiten, sehr gefreut. Tretjak hatte die beiden Welterlins schon angemeldet in der Pension Aurora. Und er hatte einen Fahrer organisiert, der sie dorthin bringen würde.
»Wann?«, war alles, was die Physikerin fragte.
»Morgen früh«, antwortete Tretjak. »Für heute Nacht habe ich Sie im Beau Rivage hier in Genf untergebracht. Ihr Vater ist schon dort. Morgen früh um acht Uhr steht der Fahrer vorm Hotel. Sie können den Hund übrigens gern mitnehmen, Tiere sind immer noch erlaubt in dieser Pension. Wenn nicht, organisiere ich, dass er ins Tierheim kommt.«
Mit einer stummen Handbewegung signalisierte sie, dass der Foxterrier ein neues Zuhause gefunden hatte und mitkommen würde. Sie setzte ihn auf den Boden. Er blieb direkt vor ihr sitzen und starrte sie an.
»Wie
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